Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Regionalgebiet Afrika: Der ” matrilineare Gürtel“ 206<br />
schen ” physiologischer Pubertät“ und ” sozialer Pubertät“. Dabei ist die beginnende<br />
physiologische Pubertät der Mädchen ein individuelles Ereignis, das mit<br />
der ersten Menstruation einsetzt und den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenstatus<br />
einleitet. 70<br />
Durch diese Riten wird ein asexuelles Individuum in die Welt der Sexualität übergeleitet.<br />
Der Zeitpunkt des Beginns der Pubertät bei Knaben ist nicht durch ein<br />
Einzelereignis gekennzeichnet, sondern die Öffentlichkeit bemerkt Veränderungen,<br />
wie z.B. den Bartwuchs. Insgesamt ist aber die körperliche Pubertät für beide Geschlechter<br />
ein Ereignis, das das Ende der Kindheit signalisiert. Dafür entwickelten<br />
sich unterschiedliche Pubertätsriten, die den Übergang in den Status des Erwachsenen<br />
erleichtern und gleichzeitig für die Öffentlichkeit sichtbar machen sollen. 71<br />
Variationen beim Alter, wann eine Zirkumzision durchgeführt wird, zeigen, daß<br />
dieser Akt eher soziale Bedeutung hat als physiologische. Beschneidungen werden<br />
in größeren Abständen durchgeführt, sodaß Kinder unterschiedlichen Alters (im<br />
Sinne von sexueller Entwicklung) zur gleichen Zeit in einer Gruppe zusammengefaßt<br />
werden. Der Zeitpunkt des Eingriffs variiert sogar innerhalb einer einzigen<br />
Region unter derselben Ethnie zwischen 7 bis 8 Tagen nach der Geburt bis über<br />
das 12. oder 13. Lebensjahr hinaus. Welche Art der Beschneidung gewählt wird<br />
und ob Mädchen und Knaben davon betroffen sind, steht im gesellschaftlichen<br />
Zusammenhang des Sozialsystems und darf nicht getrennt betrachtet werden. 72<br />
Die Initiation in den nyau-Bund zählt im Sinne von van Gennep zur ” sozialen<br />
Pubertät“. Obwohl es Ähnlichkeiten bei der Initiation – wie aus der Literatur<br />
hervorgeht – zu den Totemgruppen Nordamerikas gibt, liegt der wesentliche Unterschied<br />
darin, daß die Geheimgesellschaften Ozeaniens (außer Australien) und<br />
Afrikas nicht den Zweck der Kontrolle der Natur haben wie bei den Totemklans<br />
oder Bruderschaften Nordamerikas, sondern ihr Inhalt sei eher im politischen<br />
und ökonomischen Sinne zu sehen. Trotzdem bestehen bei der Initiation in die<br />
Gemeinschaft große Ähnlichkeiten in den Details, die in Verbindung mit der Sozialorganisation<br />
stehen dürften. 73<br />
Die Grundstruktur der Initiation in eine Totemgruppe im Südosten Australiens<br />
unterscheidet sich kaum von anderen Geheimgesellschaften: für einen Knaben<br />
bedeutet es die Trennung von seiner gewohnten Umgebung, d.h. von der Welt<br />
der Frauen und Kinder. Der Initiand befindet sich in Seklusion im Busch, an<br />
einem ganz bestimmten Ort, in einer besonderen Unterkunft etc., dabei wird die<br />
70 Van Gennep 1960, The Rites of Passage, S.66. Das Alter des Eintritts der physiologischen<br />
Reife von Mädchen variiert sehr stark, nicht einmal in derselben Gesellschaft kann ein bestimmtes<br />
Alter angenommen werden.<br />
71 Van Gennep 1960, The Rites of Passage, S.67–68.<br />
72 Van Gennep 1960, The Rites of Passage, S.70. Gleichzeitig wird vermutet, daß die ursprüngliche<br />
Funktion der Genitalbeschneidung von Mädchen eine Form der Beschränkung des<br />
Bevölkerungswachstums gewesen ist. Mehrheitlich hatten und haben diese schmerzhaften Eingriffe<br />
Auswirkungen auf das Sexualverhalten von Frauen, was wiederum in manchen männerdominierten<br />
<strong>Gesellschaften</strong> gewünscht wird.<br />
73 Van Gennep (1960): The Rites of Passage, S.80.