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Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

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Theorien zur Entstehung unilinearer Abstammungsgruppen 176<br />

3.3.6 Gründe für das Verschwinden der alten Ordnung<br />

Durch die Niederlage der irokesischen Konföderation 1779 und die nachfolgende<br />

Umsiedlung in Reservate veränderte sich gravierend die bisherige Sozialorganisation.<br />

Ab 1800 gab es die klassische Form der irokesischen Gesellschaft nicht<br />

mehr. Die Frauen verloren ihre unabhängige Stellung, die sie durch: Produktion,<br />

Verteilung, Matrilinearität, Uxorilokalität und Arbeitskollektive innehatten.<br />

Anthony Wallace 169 (1971) nennt einen weiteren Aspekt, der die Veränderungen<br />

beschleunigte: als die Irokesen in Reservate umgesiedelt wurden, gewannen die<br />

Männer an Einfluß. Die Ursachen dafür waren äußerlich kaum erkennbar, denn<br />

die Frauen lebten weiter in Dörfern, bauten Mais, Bohnen und Kürbisse an und<br />

die Männer jagten, allerdings in der Nähe ihrer Dörfer; Kriegführung mit anderen<br />

Stämmen gab es nicht mehr. Die Männer waren nicht mehr Wochen oder<br />

Monate von den Frauen getrennt, sondern nur wenige Stunden, vielleicht ein<br />

paar Tage. Dadurch verstärkte sich die Bindung zwischen Mann und Frau und<br />

die Einheit zwischen den Frauen zerbrach. Das Arbeitskollektiv der Frauen verschwand<br />

durch die Beteiligung der Männer an den Feldarbeiten der Frauen. Die<br />

Verbindung zwischen Mann und Frau war bisher bestimmt durch die gegenseitige<br />

Achtung in distanzierter Form: durch die Teilung in Männer- und Frauenwelt.<br />

Gleichzeitig mit der ständigen Anwesenheit der Männer im Dorf verstärkten<br />

sich die Konflikte zwischen den Männern: Schlägereien, sogar Todschlag dienten<br />

zur Konfliktlösung innerhalb der Familie und der Verwandtschaft. Vorher wurde<br />

die Aggression ausschließlich gegen Nicht-Verwandte und Nicht-Angehörige der<br />

Konföderation gerichtet. Durch die Kriegs- und Jagdzüge bildeten die Männer<br />

untereinander eine Einheit, welche Aggressivität nicht billigte. Die Trennung der<br />

Geschlechter durch die vorwiegend seßhaften Frauen und die nomadisierenden<br />

Männer veränderte sich nach der Übersiedlung ins Reservat: mit der ständigen<br />

Anwesenheit der Männer verstärkte sich ihr Interesse an der Ehe, an ” ihren“ Frauen<br />

und Kindern, am Besitz und an der Vererbung. Dies führte zur Übernahme<br />

der virilokalen Residenz. 170<br />

Durch die Teilung in Männer- und Frauenwelt und den verbundenen Arbeitskollektiven<br />

bildeten sich zwei Teile der Gesellschaft, die ziemlich im Gleichgewicht<br />

waren, vielleicht mit einem leichten Übergewicht der Frauen durch die häufige<br />

Abwesenheit der Männer. Mrs. Jemison erzählt uns: ” Kein Volk kann glücklicher<br />

leben als die Indianer in Friedenszeiten“, und weiters heißt es: ” Ihr Leben war<br />

eine andauernde Folge von Vergnügen. Ihre Bedürfnisse waren gering. Ihre Sorgen<br />

galten nur der Gegenwart“. 171<br />

169 Anthony Wallace (1971): Handsome Lake and the Decline of the Iroquois Matriarchate, in:<br />

Francis L.K. Hsu (Hg.), Kinship and Culture, S.367–376; zit.n. Wesel 1980, Der Mythos vom<br />

Matriarchat XVI: Die Irokesen, S.116.<br />

170 Wesel 1980, Der Mythos vom Matriarchat, XVI: Die Irokesen, S.116–117.<br />

171 Seaver 1824, S.100; zit.n. Wesel 1980, Der Mythos vom Matriarchat, XVI: Die Irokesen,<br />

S.118.

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