Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Theorien zur Entstehung unilinearer Abstammungsgruppen 149<br />
zwischen ansässiger Bevölkerung und ihrer Umwelt, die wiederum von den lokalen<br />
Gegebenheiten bestimmt wird. Es können z.B. Engpässe von Wasser, Land und<br />
Nahrungsressourcen entstehen, die innerhalb einer segmentären Gesellschaft<br />
meist einzig und allein durch Kriegführung – bei Abwesenheit anderer Konfliktregulierungsmechanismen<br />
– gelöst werden können. Kriegführung wird als eine<br />
Form der Konfliktlösung gesehen, um die Balance zwischen Umweltressourcen<br />
und Bevölkerungsanzahl wieder herzustellen, so jedenfalls Divale. Dadurch wird<br />
entweder eine der Bevölkerungsgruppen verdrängt (die Neuankömmlinge oder<br />
die ansässige Bevölkerung) oder es ergibt sich eine kriegsbedingte Entvölkerung<br />
(depopulation) auf beiden Seiten der Konfliktparteien. Divale geht davon aus, daß<br />
die ansässige Bevölkerung in diesem Fall ihre gesamte Feindschaft gegen die Eindringlinge<br />
richtet und dies führe zum Wandel von internaler zur externalen<br />
Kriegführung. Wie bereits erwähnt, führen patrilokalorganisierte <strong>Gesellschaften</strong><br />
vorwiegend internale Kriege (im Gegensatz zu matrilokalen, die vorwiegend externale<br />
Kriege führen). Dabei ergeben sich Vorteile bei derjenigen Gruppe,<br />
die sich als besonders anpassungsfähig erweist und ihre internale<br />
Kriegführung durch externale Kriegführung ersetzt. Divale bezieht sich<br />
hier vor allem auf K. Otterbein (1968, 1970), welcher herausfand, daß Patrilineages<br />
– vor allem in Verbindung mit patrilokaler Residenz – durch internale<br />
Kriegführung charakterisiert sind, denn bei patrilokaler Residenz leben meist alle<br />
partilinearen Verwandten einer Gruppe ihr ganzes Leben im selben Dorf. Ein<br />
Mann ist immer in der Nähe seines Bruders, Onkels, Vaters, Großvaters, etc.,<br />
deshalb kann er mit deren Unterstützung bei Konflikten mit nicht verwandten<br />
Personen innerhalb des Dorfes auf jeden Fall zählen. Die in Nachbardörfern<br />
lebenden Menschen werden insgesamt als Feinde angesehen, sogar wenn sie<br />
dieselbe Sprache sprechen und eine ähnliche Sozialorganisation aufweisen.<br />
<strong>Gesellschaften</strong> mit patrilokaler Residenz bilden fast immer patrilineare Abstammungsgruppen,<br />
die ” fremde“ Frauen heiraten und in ihre Familie integrieren; sie<br />
führen interne Fehden. Hingegen führen <strong>Gesellschaften</strong> mit uxorilokaler Residenz<br />
eher zur Beendigung von internalen Kriegen. Heiratet ein Mann, so muß er entweder<br />
in ein anderes Dorf oder zumindest in einen anderen Teil des eigenen Dorfes<br />
ziehen. Er kann also bei Konflikten nicht mehr auf die Unterstützung seiner männlichen<br />
Blutsverwandten zählen. Der postmaritale Ortswechsel des Mannes führt<br />
weiters dazu, daß der Ehemann mit einer Gruppe erwachsener Männer in seiner<br />
nächsten Umgebung lebt, die nicht mit ihm verwandt sind. Seine männlichen<br />
agnatischen Verwandten leben teilweise in anderen Dörfern und besitzen – wie<br />
er selbst – das Monopol der Kriegführung. Deshalb sinkt die Wahrscheinlichkeit,<br />
daß Krieg gegen ein Nachbardorf geführt wird, da in diesem Nachbardorf männliche<br />
Blutsverwandte leben und gegen diese zu kämpfen würde bedeuten, gegen<br />
den eigenen Bruder zu kämpfen, und scheidet deshalb aus. Ebenso werden auch<br />
politische Interessen auf mehrere – durch männliche Verwandtschaftsbeziehungen<br />
gekennzeichnet – Dörfer ausgeweitet. 89<br />
89 Divale 1975, An Explanation <strong>for</strong> Matrilocal Residence, S.104.