Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Regionalgebiet Afrika: Der ” matrilineare Gürtel“ 215<br />
1. Dem dramatischen Ereignis der ersten Menstruation folgt eine so<strong>for</strong>tige<br />
Isolation des Mädchens; die Leiterin der Zeremonie (nánkungwi) wird in<strong>for</strong>miert<br />
und von ihr wird eine Betreuerin (phungu) ernannt. Während der<br />
gesamten Initiationsphase darf das Mädchen nur von diesen beiden Personen<br />
angesprochen werden.<br />
2. Das Mädchen wird in ein eigenes Initiationshaus (tsimba) gebracht, wo sie<br />
unterrichtet wird. Sie sitzt in schweigender Haltung auf einer Matte und<br />
wird besungen und eingetanzt. Die wesentlichen Inhalte der Erziehung sind<br />
Disziplin, Zurückhaltung, Höflichkeit und Arbeitseifer.<br />
3. Nach einigen Wochen oder längstens einem Jahr findet ein spektakuläres<br />
Abschlußfest oder Heimkehrfest statt. Dabei tritt ein kapoli-Maskentänzer<br />
des nyau-Bundes als Verbindungsglied zwischen der ” Institution der Frauen“<br />
und der ” Institution der Männer“ auf. 101<br />
Das Ziel der weiblichen Initiation ist das Erlernen der gesellschaftlich gewünschten<br />
Verhaltensweisen der Mädchen und das Vorbereiten auf ihre zukünftige Position<br />
als Mutter und Ehepartnerin. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang vor allem<br />
der Widerspruch, daß die Männer die Frauen innerhalb der Gesellschaft als dominant<br />
empfinden, aber gleichzeitig die Erziehung der Mädchen von den Frauen<br />
zur Passivität und Disziplin erfolgt. Kubik konnte aber auch beobachten, daß von<br />
den Frauen eine ” Maske“ – atsikupinimbira genannt – hergestellt wird, die bei<br />
einem chinamwali-Abschlußfest eingesetzt worden ist. Dabei bemalte sich eines<br />
der Mädchen vom Lehrpersonal den Körper mit weißen Tupfen aus Maismehlkleister<br />
(auch Lehm sei möglich) und bedeckte den Kopf bis zum Hals völlig mit<br />
Blättern; wobei das Aussehen an die kapoli-Maske erinnerte. Gemeinsam mit der<br />
atsikupinimbira-Maske liefen die Mädchen und Frauen in der Nacht – eine von<br />
ihnen war mit einer Glocke oder einem klingenden Eisengegenstand bewaffnet<br />
– durch das Dorf. Dabei wagte sich kein Mann aus dem Haus, denn die Frauen<br />
würden auf jeden Mann mit Stöcken einschlagen, der sich ihnen entgegenstellte. 102<br />
Eine ähnliche Form der ” Masken der Frauen“ gibt es auch in Ostangola. Der<br />
Auftritt der ” Frauenmasken“ ist gleichzeitig die Vergeltung, die als Ausgleich der<br />
Sozialordnung zwischen den Geschlechtern dient. Es scheint, daß die Maskentraditionen<br />
insgesamt die Aufgabe übernehmen, durch die Verkleidung der jeweiligen<br />
Person, sowohl auf der Männer- als auch auf der Frauenseite, als ” ausgleichende<br />
Gerechtigkeit“ bzw. als Kanalisation eines Spannungszustandes zu fungieren. Die<br />
Maskenfigur sollte für jeweils die andere Seite nicht identifizierbar sein und damit<br />
fällt es wesentlich leichter, Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern symbolisch<br />
aufzuzeigen und sogar zu sanktionieren, ohne daß die Person erkannt oder<br />
die Gemeinschaft des Dorfes dagegen Schritte unternehmen könnte. Das traditionelle<br />
Wissen der Frauen, das sie während der Initiationsphase erlernen, sollte<br />
101 Kubik 1987, Nyau – Maskenbünde im südlichen Malaˆwi, S.42–44.<br />
102 Kubik 1987, Nyau – Maskenbünde im südlichen Malaˆwi, S.44: bezieht sich auf seine Aufzeichnungen<br />
in Singano in der Nacht vom 21. auf den 22.12.1983.