Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 92<br />
mit dem Titel: ” Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“<br />
(1884). 105<br />
Pandektenwissenschaft<br />
Pandektenwissenschaft ist die Methode, mit der sich die deutschen Juristen des<br />
19. Jahrhunderts den Texten des römischen Rechts näherten. Grundlage war die<br />
Naturrechtslehre, die das Recht als eine Art von juristischer ” Mathematik“ betrachtet<br />
hatte. 106<br />
Die deutschen Romanisten weigerten sich, den Weg des römischen Rechts zurückzuverfolgen,<br />
wie es die Kommentatoren und Juristen der niederländischen Schule<br />
taten, sondern sie wollten durch den erneuerten Humanismus in den Texten die<br />
inneren theoretischen Strukturen aufdecken. Friedrich Karl von Savigny (1779–<br />
1861) stellte fest, daß Donellus der einzige der frühen Rechtsgelehrten war, der<br />
eine klare Vorstellung hatte, was die wissenschaftliche Beherrschung des römischen<br />
Rechts ausmacht: nämlich die tatsächliche Sachherrschaft, die bestimmte<br />
Willenserklärungen seitens des Besitzers verlangte. Dies führte bei Savigny zum<br />
Ergebnis, daß das grundlegende Prinzip des Besitzers eine Äußerung des menschlichen<br />
Willens darstelle. Er faßte die Besitz betreffenden Texte des römischen<br />
Rechts zusammen und begründete mit seinem Buch ” Recht zum Besitz“ seinen<br />
Ruhm als Rechtsgelehrter. 107<br />
Savigny hoffte, die von den Pandekten abgeleiteten wissenschaftlichen Begriffe für<br />
die Lösung der Probleme seiner Zeit einsetzen zu können. Das große Problem in<br />
den deutschen Ländern zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Lage der Bauern,<br />
vor allem die auf ihnen ruhenden Lasten aus den Überresten des Feudalsystems.<br />
Nach ” Gemeinem Recht“ hatten die deutschen Bauern die Rechtsstellung der coloni<br />
des römischen Rechts. Nach klassischem römischen Recht wurde die Bezeichnung<br />
coloni für freie Bauern und Pächter verwendet, die jedoch keine Sicherheit<br />
beim Besitz des bewirtschafteten Landes hatten. Diese Rechtsstellung des colonus<br />
wurde später im römischen Recht geändert. Den Bauern wurde die Bindung ans<br />
Land auferlegt und dies führte wiederum zur mittelalterlichen Leibeigenschaft.<br />
Savigny wies nach, daß der Begriff des Colonats das Ergebnis der Niederlage des<br />
römischen Rechts war, und deshalb auch kein Vorbild für die leibeigenen Bauern<br />
des 19. Jahrhunderts sein konnte. Das reine römische Recht hatte das Vorbild<br />
eines freien Bauerntums – wie die Plebejer in der Frühzeit der römischen Republik<br />
Gleichberechtigung mit den Patrizieren verlangten – so sollten auch die<br />
deutschen Bauern unbeschränktes Eigentum an Grund und Boden erhalten. Nach<br />
der Vorstellung von Savigny käme es dadurch zur Verbesserung ihrer Lage, wenn<br />
105 Friedrich Engels (1984): Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates,<br />
Erstausgabe 1884, nach der 4. und ergänzten Auflage von 1892; in: Karl Marx und Friedrich<br />
Engels, Dietz Verlag, Berlin, S.27–83.<br />
106 Stein 1996, Römisches Recht und Europa, S.195.<br />
107 Stein 1996, Römisches Recht und Europa, S.194–195.