Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 105<br />
erfüllt haben, von den weiblichen Arbeitsbienen getötet. So stammen alle<br />
Glieder des Stocks von Einer Mutter, aber von einer größeren Anzahl<br />
Väter. An diese knüpft sie keine Liebe, kein Band der Anhänglichkeit. Die<br />
Drohnen werden von ihren eigenen Kindern aus dem Stock geworfen oder<br />
in der sogenannten Drohnenschlacht erstochen. Durch die Befruchtung der<br />
Mutter haben sie ihren Beruf erfüllt und werden nun dem Untergang geweiht.<br />
Gegenüber der Königin ist das Verhältnis der Bienen ebenso innig als<br />
lose und feindlich gegenüber den vielen Vätern. Zauberähnliche Anhänglichkeit<br />
verbindet sie mit dem Wesen, dem sie ihre Entstehung verdanken,<br />
und welche allein die Gesellschaft zusammenhält. Keine fremde Biene wird<br />
geduldet, es müssen alle Kinder und Enkel derselben Mutter sein. Ist die<br />
Königin tot, so lösen sich alle Bande der Ordnung. Es wird nicht mehr gearbeitet.<br />
Jede Biene sucht für sich ihre Nahrung, bis sie zu Grunde geht. Die<br />
Honigwaben werden geplündert und alles rastlos Gebaute zerstört. Daher<br />
verteidigen die Bienen bis zum äußersten die Mutterkönigin, welche sich<br />
auch durch größere Gestalt von dem Volke unterscheidet. Virgil (Georg.<br />
4, 154–218), wie die übrigen alten Schriftsteller, sprechen von einem rex,<br />
während genauere Naturbeobachtung das Muttertum der regina wie das<br />
männliche Geschlecht der Drohnen dargetan hat. Die Königin ist die Mutter<br />
des Stocks. Sie hat kein anderes Geschäft als nur das, zu gebären. Sie<br />
legt ein Ei nach dem andern in die dazu bestimmten Zellen. Die daraus<br />
hervorgehenden Bienen werden keine Mütter, sie führen ein jungfräuliches,<br />
durchaus nur der Arbeit und dem Erwerbe gewidmetes Leben. Durch diese<br />
Eigenschaften ist der Bienenschwarm das vollständigste Vorbild der ersten<br />
menschlichen, auf der Gynaikokratie des Muttertums beruhenden Vereinigung,<br />
wie wir sie in den Zuständen der genannten Völker finden. 146<br />
Als weiteren Beleg für die Richtigkeit seiner Analogie zitiert Bachofen zusätzlich<br />
Aristoteles der die Biene höher stellt als die Menschen jener Zeit, ” weil das große<br />
Naturgesetz in ihnen viel vollkommener und fester zum Ausdruck gelange als bei<br />
den Menschen selbst...“ 147 Die Verherrlichung der Bienenkönigin findet Bachofen<br />
auch in der indischen Sitte, die bei Hochzeiten die Genitalien der Braut mit<br />
Honig bestreichen. 148 Weiters heißt in Deutschland die Honigblume Melisse, das<br />
Mutterkraut, das bei weiblichen Geschlechtskrankheiten als besonders heilkräftig<br />
galt. Nach Bachofen gehören Honig und Milch zum Muttertum, der Wein aber<br />
dem männlichen dionysischen Naturprinzip an. 149<br />
Erstaunlich ist, daß der Bienenstock als eine großartige soziale Organisation interpretiert<br />
wird, trotz der Drohnenschlacht. Gleichzeitig wird die Amazonenherrschaft<br />
als das überhaupt widerwärtigste dargestellt. Weder den antiken Autoren<br />
146Heinrichs 1975, Bachofen – Das Mutterrecht, S.85–86, Das Zitat beruht auf Virgil, Georg.4,<br />
153ff. und Aen.I, S.435.<br />
147Heinrichs 1975, Bachofen – Das Mutterrecht, S.86. Aristoteles, Bei Athen.8p.353 a.<br />
148Heinrichs 1975, Bachofen – Das Mutterrecht, S.86, beruht auf der Monographie von Menzel<br />
über die Bienen, Mythologische Forschungen und Sammlungen, Tübingen-Stuttgart 1842, I,<br />
193.<br />
149Heinrichs 1975, Bachofen – Das Mutterrecht, S.86.