29.08.2013 Aufrufe

Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 83<br />

der Armen, die sich keinen Juristen, sondern nur halbgebildete großsprecherische<br />

Schwindler leisten konnten. So z.B. wurden in Ulrich von Huttens 1521 verfaßten<br />

Dialog ” Praedones“ (Räuber) die Juristen als korrupte, schäbige Betrüger, häufig<br />

ausländischer Herkunft und daher ohne Kenntnis der deutschen Lebensart, für<br />

alles Unglück verantwortlich gemacht. 66<br />

Mit dem im Entstehen begriffenen Nationalstaat in Europa wurden zentrale<br />

Gerichte mit Berufsrichtern eingerichtet, die alle eine Variante des römischkanonischen<br />

Prozesses übernahmen. In Frankreich wurde das materielle römische<br />

Recht nur so weit rezipiert, wie das Gewohnheitsrecht für die neuen Bedürfnisse<br />

ungeeignet oder mangels schriftlicher Aufzeichnungen schwer zugänglich war.<br />

Hingegen in den deutschen Ländern wurde das materielle römische Recht überfallsartig<br />

übernommen. In England sah es völlig anders aus. Zu Beginn des 16.<br />

Jahrhunderts herrschte in Schottland ein dem englischen Recht ähnliches, aber<br />

weniger entwickeltes Gewohnheitsrecht. – Es gab hier kein Zentralgericht mit Berufsrichtern<br />

und keine Gruppe ausgebildeter Rechtsanwälte; erst 1532 wurde der<br />

Court of Session als ständiges mit Berufsrichtern besetztes Gericht gegründet;<br />

das die am Kontinent üblichen schriftlichen Verfahren übernahm. 67<br />

Marianne Weber schreibt über die Rechtsentwicklung in England, daß bis vor 30<br />

Jahren der Grundsatz des englischen Common Law Er soll dein Herr sein“ galt.<br />

”<br />

Die englische Gesetzkunde war das Monopol einer Zunft, mit einer Art Geheimwissen,<br />

das alle Nichtjuristen ausschloß. Die einzelnen Rechtsfälle wurden durch<br />

das Heranziehen richterlicher Entscheidungen, die sogar Jahrhunderte zurückliegen<br />

konnten, nach Präjudizien entschieden. Die künstliche Aufrechterhaltung des<br />

Kultes einer juristischer Tradition stellte die englische Frau nach geltendem offiziellen<br />

Landrecht (Common Law) bis Mitte des 19. Jahrhunderts <strong>for</strong>mell einem<br />

” Sklaven“ und einem Kinde gleich. Die persönliche und vermögensrechtliche Unterordnung<br />

der Frau wurde durch die Fiktion ihrer rechtlichen Identität (legal<br />

identity) mit dem Gatten gerechtfertigt: Husband and wife are one and the hus-<br />

”<br />

band is that one“. Die Frau wird also als Einheit“ und nur als Objekt“ gesehen.<br />

” ”<br />

Durch die zum Prinzip des Eherechts erhobene Fiktion der Identität“ wurde die<br />

”<br />

Rechtspersönlichkeit der Frau nach ihrer Heirat fast völlig vernichtet. Sie wurde<br />

vom Gesetz nicht mehr als Ich“ betrachtet und deshalb war sie nicht nur in<br />

”<br />

ihrer juristischen Handlungsfähigkeit beschränkt, sondern sie verlor diese (außer,<br />

wenn sie Handelsfrau war) vollständig. Sie konnte nicht einmal mit Zustimmung<br />

oder mit Beistand ihres Mannes Verträge schließen, noch von ihm oder Dritten<br />

Geschenke entgegen nehmen, denn Mann und Frau blieben eine Einheit“ und<br />

”<br />

konnten sich dadurch untereinander nichts schenken; der Dritte aber beschenkte<br />

nicht die Frau, sondern juristisch den Mann, auch wenn er die Frau meinte. 68<br />

Der Mann war ihr Herr (her lord), dem sie unbedingten Gehorsam schuldete,<br />

auch fehlte ihm nicht das obligate Züchtigungsrecht. Die Frau stand ” unter der<br />

66 Stein 1996, Römisches Recht und Europa, S.143.<br />

67 Stein 1996, Römisches Recht und Europa, S.144.<br />

68 Marianne Weber 1989, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, S.249–250.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!