Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
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Theorien zur Entstehung unilinearer Abstammungsgruppen 129<br />
postmaritalen Residenz fest, den aber William Tulio Divale anhand seiner statistischen<br />
Überprüfung nicht belegen konnte. Ebenso behauptet Lippert, daß matrilokale<br />
Residenz häufig in Verbindung mit der Dominanz der Frauen in der<br />
Subsistenzwirtschaft stehe. Dabei bezieht sich Lippert auf Lowie und folgert, daß<br />
beim Übergang zum beginnenden Bodenbau eher Frauen den größeren Anteil der<br />
Arbeit übernehmen, d.h. einfacher Bodenbau sei eher Frauenarbeit und deshalb<br />
entwickle sich bei ” niederem“ Bodenbau eher matrilokale Residenz und matrilineare<br />
Deszendenz. 23<br />
Thurnwald geht in seiner Arbeit ” Die menschliche Gesellschaft in ihren ethnosoziologischen<br />
Grundlagen“ davon aus, daß Jäger und Sammler bilateral organisiert<br />
sind, denn Söhne erben die Jagdgeräte ihrer Väter und Töchter erben diejenigen,<br />
die ihre Mütter zum Kochen und Nahrungsammeln verwenden; übernehmen aber<br />
Sammlerinnen eine Form des Bodenbaus, dann gewinnt die unilineare Vererbung<br />
an Bedeutung und dabei finde die Anerkennung von matrilinearer Deszendenz<br />
weite Verbreitung. Murdock findet, daß Thurnwald dies sehr klar auf den Punkt<br />
gebracht habe. 24<br />
Ein relativ hoher Status der Frauen, bzw. die Gleichstellung von Frauen und<br />
Männern beim Eigentum und anderen Rechten, führe zur Bevorzugung der bilokalen<br />
Residenz, welche wiederum uxorilokale Residenz einleiten kann. Die Abwesenheit<br />
von beweglichem Besitz wie Herden, Sklaven, und andere Prestigegüter<br />
sind dabei ein wesentlicher Faktor und fördere die relative ” Friedfertigkeit“.<br />
Kriegführung verstärke die Bedeutung der Männer, die häufig mit Beute und<br />
Gefangenen zurückkehren und damit den Kauf von Ehefrauen ermöglichen. Eine<br />
weitere Vorbedingung ist der relativ niedrige Grad an politischer Integration, der<br />
nicht über die lokale Gemeinschaft hinausreicht, wie z.B. in Melanesien und bei<br />
den Pueblo-Indianern. Weitreichende politische Autorität bringt den ” Besitzern“,<br />
welche dann fast überall Männer sind, mehr Macht, Eigentum und Prestige, was<br />
in der Folge zur Zurückdrängung des matrilokalen Prinzips führe. 25<br />
Die Besonderheit der Avunkulokalität soll hier im Zusammenhang von matrilinearen<br />
Systemen genauer dargestellt werden. Die avunkulokale Residenz entwickelt<br />
sich niemals aus neolokaler, bilokaler oder patrilokaler Residenz, sondern<br />
ersetzt ausschließlich uxorilokale Residenz. Sowohl bei patrilokaler Residenz als<br />
auch bei avunkulokaler Residenz leben die Männer mit ihren unilinearen männ-<br />
23 Murdock 1949, Social Structure, S.205; Lowie 1920, Primitive Society, S.160.<br />
24 Murdock 1949, Social Structure, S.205; zitiert R.C. Thurnwald (1932): Die menschliche<br />
Gesellschaft in ihren ethnosoziologischen Grundlagen, II, Berlin, Leipzig, S.193–194: ” ... sons<br />
inherit the trapping and hunting gear of their fathers; daughters, the cooking utensils and<br />
food-gathering implements of their mother. When the women have advanced from collecting<br />
to agriculture, their property is augmented, and matrilineal inheritance consequently becomes<br />
the more important. Having as their disposal, as a result of agriculture, a more stable and<br />
often more abundant food supply then the men, their importance is further enhanced, and<br />
their superiority in the matter of property, including that in their children, finds widespread<br />
recognition in matrilineal descent.“<br />
25 Murdock 1949, Social Structure, S.205–206.