Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Matrilineare Gesellschaften - Institute for Advanced Studies
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Das Mutterrecht in der Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts 66<br />
Völker selbst von einem gemeinsamen ursprünglichen Grundstamm schließen.<br />
11<br />
Der Evolutionsgedanke wurde im 19. Jahrhundert weiterentwickelt und bildete die<br />
Grundlage zahlreicher neuer Wissenschaftsdisziplinen: Die Ethnologie, Völkerkunde,<br />
Kulturanthropologie, Sozialanthropologie, etc., wie auch immer die Bezeichnung<br />
für die Wissenschaft vom Menschen und seinen geistigen und gesellschaftlichen<br />
Leistungen lautet, war geboren. Die wichtigsten Vertreter und damit<br />
Begründer dieser Wissenschaftsdisziplin waren: Lewis Henry Morgan (1818–<br />
1881), Henry Sumner Maine (1822–1888), Edward Burnett Tylor (1832–1917);<br />
Herbert Spencer (1820–1906) mit seiner soziologischen Evolutionstheorie, die<br />
einen tiefgreifenden Einfluß auf die Sozialanthropologie ausübte; und nicht zuletzt<br />
Johann Jakob Bachofen (1815–1887).<br />
Die evolutionistischen Theorien fanden aber nicht nur Anerkennung, sondern<br />
lösten als kritische Gegenbewegung zum Evolutionismus in den USA den Kulturrelativismus<br />
aus, z.B. Franz Boas (1858–1942) und Robert Henry Lowie (1883–<br />
1957). 12 Die Kulturrelativisten lehnten jede Frage nach dem Maßstab zur Bewertung<br />
von <strong>Gesellschaften</strong> auf einer evolutionistischen Werteskala entschieden<br />
ab. 13<br />
Die Struktur- und Funktionalisten stellten alle Vermutungen des klassischen Evolutionismus<br />
in Frage. Radcliffe-Brown z.B. verurteilte die diffusionistischen Rekonstruktionsversuche<br />
und Behauptungen der Evolutionisten über die Ursprünge<br />
von Institutionen und <strong>for</strong>derte vergleichende soziologische Untersuchungen.<br />
Die Schüler von Boas – Goldenweiser, Kroeber und Lowie – griffen den Evolutionsgedanken<br />
wieder auf und <strong>for</strong>derten eine Weiterentwicklung der Evolutionstheorie.<br />
Diesem Gedanken wurde ab Mitte des 20. Jahrhunderts in der amerikanischen cultural<br />
Anthropology erneut Aufmerksamkeit geschenkt. Leslie White (1900–1975)<br />
stellte die Behauptung auf, daß der Fortschritt einer Gesellschaft vom Energieverbrauch<br />
pro-Kopf abhängig sei. Seine Theorie besagt, daß Neuerungen im technologischen<br />
Bereich entsprechende Entwicklungen in allen anderen Bereichen einer<br />
Gesellschaft mit sich bringen müssen. 14 Diese Schlußfolgerung stellt aber ebenfalls<br />
eine Wertung dar und der Blickwinkel der Betrachtung geht eindeutig von<br />
der westlichen Industriegesellschaft aus.<br />
11 Lewis Henry Morgan (1987): Die Urgesellschaft. – Untersuchungen über den Fortschritt der<br />
Menschheit aus der Wildheit durch die Barbarei zur Zivilisation, Erstausgabe 1877 in den USA,<br />
Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1908, Übersetzung W. Eichhoff unter Mitwirkung von Karl<br />
Kautsky, Promedia, Wien, S.7.<br />
12 Robert Harry Lowie gilt als amerikanischer Ethnologe, der in Wien am 12.6.1883 geboren<br />
wurde und am 21.9.1957 in Berkeley/San Franzisko starb. Seine bedeutenden Beiträge zur<br />
Ethnosoziologie und Religionsethnologie sind international anerkannt. Siehe dazu: Justin Stagl<br />
(1988): Lowie, Robert Harry, in: Walter Hirschberg (Hrsg.), Neues Wörterbuch der Völkerkunde,<br />
Ethnologische Paperbacks, Dietrich Reimer Verlag, Berlin, S.288.<br />
13 Raum 1983, Evolutionismus, S.276–278.<br />
14 Raum 1983, Evolutionismus, S.278–279.