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Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

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e u r o p ä i S c H e in t e g r a t i o n – j u d i k at i V e u n d l e g i S l a t i V e po l i t i k 107<br />

<strong>Die</strong>se Grenzverschiebung betrifft bei den Grundfreiheiten vor allem zwei<br />

Bereiche. Zum einen ist fraglich, ob Europarecht überhaupt anzuwenden ist<br />

und zum an<strong>der</strong>en, welche legitimen Ausnahmen hiervon gemacht werden dürfen.<br />

Zunächst betreffen die vier Freiheiten (wie auch das europäische Wettbewerbsrecht)<br />

nicht rein innerstaatliche Sachverhalte. <strong>Die</strong> Grundfreiheiten zielen<br />

auf den grenzüberschreitenden Austausch von Waren, <strong>Die</strong>nstleistungen, Kapital<br />

und Personen, weshalb sich Inlän<strong>der</strong> bei rein inländischen Sachverhalten<br />

nicht auf sie berufen können. In seiner jüngeren Rechtsprechung zur Waren-<br />

und <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit hat <strong>der</strong> EuGH diesen Grundsatz jedoch nicht mehr<br />

konsequent beibehalten (Hatzopoulos 2000: 58-62). So äußerte sich <strong>der</strong> EuGH<br />

im Fall Pistre (C-321-324/94): »Article [28] cannot be consi<strong>der</strong>ed inapplicable<br />

simply because all the facts of the specific case before the national court are<br />

confined to a single Member State« (zitiert nach Hatzopoulos 2000: 61). 4 Fraglich<br />

ist zudem, inwieweit die Grundfreiheiten nur staatliche Akteure verpflichten<br />

o<strong>der</strong> auch eine horizontale Wirkung auf private Akteure entfalten. In seinen<br />

jüngsten Urteilen in den Fällen Laval (C-341/05) und Viking (C-438/05) hat <strong>der</strong><br />

EuGH auch die Gewerkschaften verpflichtet, in ihren Handlungen Auswirkungen<br />

auf die Nie<strong>der</strong>lassungs- und <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit zu beachten (Joerges/<br />

Rödl 2008; vgl. hierzu die Einleitung in diesem Band).<br />

Parallel zur Warenverkehrsfreiheit wurden auch ihre Ausnahmen durch die<br />

Cassis-Rechtsprechung ausgeweitet. 5 Deshalb sind die Bereiche legitimer nationaler<br />

o<strong>der</strong> europäischer Kompetenzen immer nur zum Teil eindeutig abgrenzbar;<br />

dazwischen befindet sich ein Graubereich, wo es schwer abzuschätzen ist,<br />

ob die Grundfreiheiten o<strong>der</strong> ihre Ausnahmen gelten und inwieweit angesichts<br />

dessen nationale Handlungsmöglichkeiten verbleiben. Handelt es sich bei einer<br />

regulativen Maßnahme um eine rechtmäßige, nicht diskriminierende Beschränkung<br />

einer Grundfreiheit? Ist sie gedeckt von einem legitimen Schutzinteresse<br />

des Mitgliedstaates? Ist die Maßnahme darüber hinaus verhältnismäßig, das heißt<br />

geeignet, erfor<strong>der</strong>lich und verhältnismäßig im engeren Sinne? O<strong>der</strong> könnte man<br />

das gewünschte Ziel mit einer weniger einschneidenden Maßnahme erreichen?<br />

Was bedeutet die kontinuierliche Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Vertragsinterpretation<br />

durch den EuGH für legislative Politik? <strong>Die</strong> Mitgliedstaaten verhandeln vor<br />

dem Hintergrund dieser Verän<strong>der</strong>ungen im Ministerrat. <strong>Die</strong> Rechtsprechung<br />

4 Im Europäischen Wettbewerbsrecht ist die sogenannte Zwischenstaatlichkeitsklausel relevant,<br />

nach <strong>der</strong> Europarecht greift, wenn Maßnahmen geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten<br />

zu beeinträchtigen (Art. 81 I EGV). Aufgrund <strong>der</strong> Formulierung »geeignet« wird<br />

die Klausel sehr breit ausgelegt, sodass kaum rein nationale Angelegenheiten verbleiben.<br />

5 Mit <strong>der</strong> Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung <strong>der</strong> Marktregulierung an<strong>der</strong>er Mitgliedstaaten<br />

führte das Cassis-Urteil die »zwingenden Erfor<strong>der</strong>nisse« ein, die es Mitgliedstaaten erlauben,<br />

den Handel mit aus an<strong>der</strong>en Mitgliedstaaten stammenden Waren aus Gründen beispielsweise<br />

des Umweltschutzes zu unterbinden.

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