07.01.2013 Aufrufe

Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

352 S t e p H a n le i b f r i e d u n d He r b e r t ob i n g e r<br />

schutz machte. <strong>Die</strong>ses sozialpolitische Feld konnte, sieht man einmal von <strong>der</strong><br />

Kompetenzlage ab, vor allem deshalb so früh durch den Bund aufgegriffen werden,<br />

weil das Politikfeld ausschließlich regulativ beschaffen war und dadurch<br />

keine nennenswerten öffentlichen Ausgaben nach sich zog. Umverteilende,<br />

trans ferintensive Programme wurden dagegen durch das Fehlen steuerlicher<br />

und sozialpolitischer Bundeszuständigkeiten lange behin<strong>der</strong>t und erheblich verzögert.<br />

Heftige Konflikte zwischen den Gebietskörperschaften und die rigide<br />

Verfassungsordnung zogen die Neuverteilung von Kompetenzen in <strong>der</strong> Sozial-<br />

und Steuerpolitik erheblich in die Länge. <strong>Die</strong> soziale Sicherungslücke wurde<br />

zwischenzeitlich mit privaten Lösungen (zum Beispiel Betriebsrenten, private<br />

Krankenversicherung) geschlossen, die erst später staatlichen Rahmengesetzen<br />

unterstellt wurden (Obinger et al. 2005c; Leimgruber 2008). <strong>Die</strong>se enthielten<br />

zunächst nur Mindestvorschriften und legten später ein Obligatorium für die<br />

Bereitstellung von Betriebsrenten o<strong>der</strong> den Abschluss einer Krankenversicherung<br />

fest. <strong>Die</strong> dezentral gewachsenen Trägerstrukturen blieben dabei unangetastet.<br />

Öffentliche Umverteilungsprogramme konnten hingegen nur über den<br />

parafiskalischen Weg, also in hohem Maße beitragsfinanzierte Sozialleistungen,<br />

geschaffen werden. 11 Der Entwicklungsverlauf des schweizerischen Wohlfahrtsstaates<br />

ist deshalb durch eine ausgeprägte Dehnung in <strong>der</strong> zeitlichen Abfolge <strong>der</strong><br />

Arbeitsschutzgesetzgebung und <strong>der</strong> Einführung sozialer Transferleistungen gekennzeichnet:<br />

Während die Schweiz international eine Vorreiterrolle in <strong>der</strong> Regulierung<br />

von Arbeitsbedingungen einnahm, war sie ein Nachzügler bei den<br />

sozialpolitischen Transferprogrammen.<br />

In Australien lässt sich die gleiche dualisierte und zeitlich gestreckte Entwicklung<br />

beobachten. Auch dort wurde <strong>der</strong> Weg einer »mandated provision«<br />

beschritten, wobei Gerichten eine führende Rolle zukam. Der Einsatz staatlicher<br />

Macht bei <strong>der</strong> Schlichtung von industriellen Konflikten führte schnell auf regulativem<br />

Wege zu Vorgaben über Mindestlöhne und die zwingende Lohnfortzahlung<br />

im Krankheitsfall, indem Schiedsgerichte den Arbeitgebern entsprechende<br />

Pflichten auferlegten. Bundesweite Sozialtransferleistungen wurden erst viel<br />

später eingeführt und blieben im Ausgabenniveau eher bescheiden (siehe auch<br />

Castles 1985). Auch in den USA sehen wir seit den Siebzigerjahren, wie umfassende<br />

»social regulation« den Wohlfahrtsstaat des New Deal ummantelt und<br />

schließlich einfriert und überlagert (Kochan et al. 2001; Nivola 1997).<br />

11 Der parafiskalische Weg beschwor im Übrigen die vehemente Gegnerschaft <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Interessenverbände herauf. Im Gegensatz zu Österreich und Deutschland konnte die schweizerische<br />

Wirtschaft allerdings Referenden anstoßen, um eine Erhöhung ihrer Lohnnebenkosten<br />

zu blockieren. So wurden zunächst die Krankenversicherung und dann die Rentenversicherung<br />

1900 und 1931 per Volksentscheid abgelehnt (Obinger et al. 2005c).

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!