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Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

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354 S t e p H a n le i b f r i e d u n d He r b e r t ob i n g e r<br />

wie Initiativen des Europäischen Rates und <strong>der</strong> Kommission, die alle zusammengenommen<br />

die Quellen <strong>der</strong> neuen Sozialpolitiken bilden. Während Kommission<br />

und Europäischer Rat zu Reformstau neigen, begünstigt die institutionelle<br />

Beschaffenheit des EuGH, relativ gesehen, »Aktivismus« – so mag <strong>der</strong><br />

EuGH die neun geltenden Tatbestände schlicht als Beispiele deuten, die ihm<br />

den Weg zu den weiteren neun im gescheiterten Verfassungsvertrag gemeineuropäisch<br />

bahnen. Der EuGH kann den Entscheidungen über die Fälle, die<br />

ihm vorgelegt werden, nicht ausweichen, die Entscheidungen werden zudem<br />

geheim beraten, es gibt also keine Min<strong>der</strong>heitsvoten, und sie werden mit einfacher<br />

Mehrheit getroffen. Der EuGH wird durch diese Vorgaben vor <strong>der</strong> politischen<br />

Unbeweglichkeit geschützt, wie sie für die EU-Organe sonst typisch ist. Nur ein<br />

einstimmiges Votum des Europäischen Rates o<strong>der</strong> eine Neufassung des Europäischen<br />

Vertragswerks kann Entscheidungen des EuGH rückgängig machen,<br />

je nachdem, ob es um sekundäres o<strong>der</strong> primäres EU-Recht geht.<br />

<strong>Die</strong> »<strong>Integration</strong> durch Recht« hatte bislang den Vorteil, den Einzug von<br />

Steuern, die Ausgabenpolitik und die administrativen Zuständigkeiten auf <strong>der</strong><br />

mitgliedstaatlichen Ebene zu belassen – und das gilt um so mehr, wenn es um<br />

den schlichten Problemzugang durch die »soziale Regulierung« Dritter geht.<br />

Problematisch bleibt jedoch die sozialpolitische Effektivität solcher Strategien.<br />

Mit Blick auf die durchaus hohen arbeitsschutzrechtlichen Standards erhebt<br />

sich etwa die Frage, ob angesichts einer riesigen Schattenwirtschaft in Rumänien<br />

und Bulgarien und markanter Defekte in <strong>der</strong> Rechtsstaatlichkeit regulative<br />

Sozial politik nicht weitgehend wirkungslos bleibt.<br />

Ein <strong>der</strong>art gerichtlich angetriebener regulativer Prozess <strong>der</strong> Sozialpolitikentwicklung<br />

folgt aber seiner eigenen Logik. <strong>Die</strong> Entscheidungen des Gerichts<br />

entsprechen ebenso sehr, wenn nicht sogar ausgeprägter, den For<strong>der</strong>ungen nach<br />

rechtsdogmatischer Stimmigkeit und einem stare decisis (Präzedenzbindung), wie<br />

den (sozial-)politischen Diskussionen darüber, ob die jeweils avisierten sozialpolitischen<br />

Lösungen beziehungsweise Folgen problemadäquat sind. Auf die<br />

Dauer gesehen dürfte die Möglichkeit, durch Reformen, die auf einer juristischgerichtlichen<br />

Logik aufbauen, zentrale Sozialpolitikziele zu erreichen, begrenzt<br />

sein. Darüber hinaus dürfte es Gerichten weniger einleuchten, routinemäßig<br />

politischen Zwängen zu entsprechen, die nur bestimmte Lösungen in <strong>der</strong> EU<br />

zulassen können und an<strong>der</strong>e ausschließen. <strong>Die</strong> Problematik des Gerichtswegs<br />

besteht darin, dass Gerichtsentscheidungen leicht den Toleranzrahmen wichtiger<br />

politischer Akteure im EU-System überschreiten. Schließlich hatten die Mitgliedstaaten<br />

nachhaltige politische Gründe dafür, eine Zentralisierung verbindlicher<br />

Entscheidungen in <strong>der</strong> EU zu erschweren, und die Aktivitäten des EuGH<br />

haben schon bislang des Öfteren Verstimmungen aufkommen lassen, die sich

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