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Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

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n a t i o n a l e So z i a l S t a a t e n i n d e r eu r o p ä i S c H e n un i o n 353<br />

Regulative Sozialpolitik spielt auch auf <strong>der</strong> EU-Ebene eine zentrale Rolle.<br />

Neben dem bereits erwähnten Komplex des Arbeitnehmerschutzes handelt es<br />

sich um Politiken, die auf den ersten Blick sozialpolitikfern sind. Seit Längerem<br />

wächst eine neue gesamteuropäische und gesellschaftsumfassende Antidiskriminierungsgesetzgebung<br />

heran, die im Entwurf <strong>der</strong> gescheiterten Europäischen<br />

Verfassung von 2004 mit achtzehn Tatbeständen vertreten war, 12 und die als<br />

»neue Politik« dabei ist, die »alte« rein beschäftigungszentrierte Regulierung<br />

<strong>der</strong> Nichtdiskriminierung nach Nationalität und Geschlecht zu ergänzen und<br />

zu überlagern (Leibfried 2005: 245f.). 13 Dafür reichen an sich schon die neun<br />

Tatbestandsmerkmale aus, die seit dem Amsterdamer Vertrag 1997 zum Primärrecht<br />

gehören: nationale Zugehörigkeit und Geschlecht seit 1957 beziehungsweise<br />

»sex« seit 1997; und seit 1997 ferner rassischer o<strong>der</strong> ethnischer Ursprung,<br />

Religion o<strong>der</strong> Glauben, Behin<strong>der</strong>ung, Alter und sexuelle Orientierung. 14 Der<br />

Lissabonner EU-Reformvertrag vom 13. Dezember 2007 knüpft an diese Neuner-Konstellation<br />

bruchlos an. (Im Vertrag von Nizza aus dem Jahr 2000, <strong>der</strong><br />

2003 in Kraft trat und <strong>der</strong> heute die Rückfallposition bildet, wurde die Amsterdamer<br />

Ausgangslage fortgeschrieben.)<br />

Bei dieser regulativen Sozialpolitik gab es in den letzten Jahrzehnten aus<br />

mehreren Gründen sozial- und gesellschaftspolitische Fortschritte: <strong>Die</strong> EU und<br />

die Mitgliedstaaten müssen, erstens, keinen beson<strong>der</strong>en Finanzaufwand betreiben,<br />

um solche Initiativen zu starten; es geht weitgehend um eine Gesetzgebung<br />

zulasten Dritter. Zweitens beruht die Entscheidungsfindung in diesem Bereich<br />

auf qualifizierten Mehrheiten (QME) und ist deshalb weniger anfällig für politischen<br />

Stillstand. Interessanterweise – und mit einer starken Ähnlichkeit zu<br />

Aus tralien, wo die Entscheidungen <strong>der</strong> Schiedsgerichtsbarkeit im »fe<strong>der</strong>al arbitration<br />

system« die Antriebskraft für die Regulierung bildeten – wurden die<br />

sozial politischen Initiativen <strong>der</strong> EU, drittens, zumeist in unüblich profilierter<br />

Weise von <strong>der</strong> Gerichtsbarkeit angestoßen beziehungsweise intensiv begleitet. 15<br />

Hier spielen mehrere Entscheidungsketten des EuGH 16 eine ebenso große Rolle<br />

12 <strong>Die</strong>ser Vertrag war im Oktober 2004 in Rom unterzeichnet worden. Zunächst gab es nur die<br />

Diskriminierung nach Nationalität, dann wurde die nach Geschlecht aktiviert. (Siehe als Überblick<br />

Leibfried 2005: 253, Anm. d.)<br />

13 Zu den entsprechenden Entwicklungen in den USA seit den Sechzigerjahren vgl. wie<strong>der</strong>um<br />

Kochan et al. (2001) und Nivola (1997).<br />

14 <strong>Die</strong> zusätzlichen Tatbestände in <strong>der</strong> <strong>europäischen</strong> Verfassung waren: colour, social origin, genetic<br />

features, language, political or any other opinion, membership of a national minority, property, and birth.<br />

15 <strong>Die</strong> klassische Entscheidungskette war die Rechtsprechung des EuGH zur Geschlechtergleichheit.<br />

Ähnliche Ketten gibt es inzwischen beispielsweise im Gesundheitsbereich, bei den Mindestsicherungen<br />

und in <strong>der</strong> Arbeitslosenversicherung.<br />

16 Man nehme hier nur das Musterbeispiel <strong>der</strong> Evolution <strong>der</strong> praktischen Ausformung und Durchsetzung<br />

<strong>der</strong> Geschlechtergleichheit des Art. 119 E(G)V (jetzt Art. 141 EG-NV vom 2003) samt<br />

<strong>der</strong> dazugehörigen Richtlinien, siehe zusammenfassend More (1999).

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