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Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

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122 S u S a n n e k. Sc H M i d t<br />

Sekundärrecht ist sehr viel stärker als im nationalen Kontext durch Formelkompromisse<br />

geprägt. Aufgrund des Mehrebenencharakters trifft einheitliches europäisches<br />

Recht auf heterogene nationale Rechtsordnungen und muss deshalb in<br />

seinen Konsequenzen für die unterschiedlichen Mitgliedstaaten übersetzt werden,<br />

mit <strong>der</strong> jeweils offenen Frage, welche Auswirkungen sich hieraus für an<strong>der</strong>e<br />

Mitgliedstaaten ergeben. Dadurch handeln Mitgliedstaaten in <strong>der</strong> legislativen<br />

Politik vor einer unsicheren Rückfallposition. Je nachdem wie diese eingeschätzt<br />

wird, also beispielsweise inwieweit sie noch von einer Situation nationaler Souveränität<br />

beziehungsweise von autonomen rechtlichen Steuerungsmöglichkeiten<br />

ausgehen, sind sie einigungsbereiter o<strong>der</strong> auch nicht.<br />

Damit wird die Frage nach den Determinanten judikativer Politik zu <strong>der</strong><br />

entscheidenden. Der EuGH kann, ähnlich wie die Kommission, als korporativer<br />

Akteur konzeptualisiert werden, <strong>der</strong> auch bestimmte Eigeninteressen an<br />

<strong>der</strong> Sicherung, dem Ausbau und <strong>der</strong> Unabhängigkeit seiner eigenen Position<br />

verfolgt. Dabei muss er aber durchaus die Interessen <strong>der</strong> Mitgliedstaaten beachten.<br />

<strong>Die</strong> Principal-Agent-Theorie lehrt, dass <strong>der</strong> EuGH einen erheblichen<br />

Handlungsspielraum hat, weil er lediglich einige, im Extremfall nur einen einzigen<br />

Mitgliedstaat durch seine Urteile besserstellen muss, um vor <strong>der</strong> einstimmig<br />

zu erfolgenden Vertragsän<strong>der</strong>ung als Sanktion gefeit zu sein (Kassim/Menon<br />

2003; Tsebelis/Garrett 2001). Das gilt aber nur, solange die Mitgliedstaaten<br />

rein inhaltlich orientiert sind und nicht auch Interessen bezogen auf das institutionelle<br />

Gleichgewicht <strong>der</strong> Union vertreten. Ist dies <strong>der</strong> Fall, muss <strong>der</strong> EuGH<br />

Wi<strong>der</strong>spruch fürchten, da seine Rechtsprechung dann nicht als in Delegation<br />

wahrgenommene Konfliktlösung, son<strong>der</strong>n als Verfolgung einer von den Mitgliedstaaten<br />

so nicht gewünschten Politik wahrgenommen wird. Angesichts <strong>der</strong><br />

Heterogenität <strong>der</strong> EU-27 ist ein sichtbarer Konsens unter den Mitgliedstaaten<br />

über die Richtung und das Ausmaß <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Rechtsprechung aber<br />

mehr als unwahrscheinlich.<br />

Der Konflikt um die <strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie mit dem »Opfer« des Verfassungsvertrages<br />

hat gleichzeitig gezeigt, dass <strong>Integration</strong> durch Recht an seine<br />

Grenzen stößt. Insofern sind Kommission und Europäischer Gerichtshof<br />

wahrscheinlich gut beraten, auch in den Bereichen, wo durch Richterrecht die<br />

<strong>Integration</strong> gut voranzutreiben ist, wie im Bereich <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungsfreiheit<br />

und <strong>der</strong> Gesundheitsdienstleistungen, durch sekundärrechtliche Vorschläge einen<br />

»Realitätscheck« einzuplanen. Aber diese Legitimationsgrenzen weisen über<br />

den vorliegenden Aufsatz hinaus. Hier ging es lediglich darum aufzuzeigen, dass<br />

legislative Politik in <strong>der</strong> EU oft nicht ausreichend verstanden werden kann, wenn<br />

nicht <strong>der</strong> Kontext judikativer Politik miteinbezogen wird.<br />

Auch nationale Politik findet im Kontext <strong>der</strong> Rechtsprechung statt, die je<br />

nach Stellung oberster Gerichte mehr (zum Beispiel in <strong>der</strong> Bundesrepublik

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