07.01.2013 Aufrufe

Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

66 f r i t z w. Sc H a r p f<br />

Frankreichs und Deutschlands (Garett 1992, 1995). Moravcsik (1993, 1994) betont<br />

dagegen die Vorteile, die nationale Regierungen aus <strong>der</strong> Tatsache ziehen<br />

können, dass die Verantwortung für einige Kategorien gemeinsam gewollter,<br />

aber unpopulärer Entscheidungen auf Kommission und Gerichtshof delegiert<br />

werden kann. Dabei wird offenbar unterstellt, dass die Regierungen an<strong>der</strong>nfalls<br />

in <strong>der</strong> Lage wären, aus ihrer Sicht unerwünschte Ergebnisse zu verhin<strong>der</strong>n. 25<br />

<strong>Die</strong>se Interpretation wird von Autoren, die den neofunktionalistischen o<strong>der</strong> supranationalistischen<br />

Ansatz vertreten, infrage gestellt. So gehen Burley und Mattli<br />

(1993) von <strong>der</strong> Beobachtung aus, dass die Regierungen in vielen Fällen hart<br />

gegen vom Gerichtshof oktroyierte Entscheidungen gekämpft hatten. 26 Sie betonen<br />

die aktive Rolle von Kommission und Gerichtshof, <strong>der</strong>en Interpretation<br />

von Vertragsbestimmungen über die Vorlageverfahren nach Artikel 177 EGV-M<br />

(nun Art. 234 EGV) die Rechtsprechung <strong>der</strong> nationalen Gerichte bestimme.<br />

Sobald aber diese Interpretation zum Bestandteil innerstaatlichen Rechts geworden<br />

sei, werde sie durch die relative Autonomie des Rechtssystems und seine<br />

Wirkung als »Maske und Schild« gegen Korrekturen durch die nationalen Regierungen<br />

und Parlamente geschützt. 27 Das würde bedeuten, dass Ergebnisse <strong>der</strong><br />

<strong>europäischen</strong> Politik eher durch die kognitive Orientierung und die politischen<br />

Präferenzen <strong>der</strong> supranationalen Akteure als durch die <strong>der</strong> nationalen Regierungen<br />

bestimmt werden.<br />

Jedoch scheint es, dass keine dieser pauschalen Hypothesen für die empirische<br />

Forschung in unterschiedlichen Politikfel<strong>der</strong>n beson<strong>der</strong>s nützlich ist<br />

(Schmidt 1996). In unseren eigenen Arbeiten bevorzugen wir den Ansatz des<br />

»akteurzentrierten Institutionalismus« als Anleitung zur Rekonstruktion politischer<br />

Interaktionen unter je spezifischen institutionellen Rahmenbedingungen<br />

(Mayntz/Scharpf 1995a; Scharpf 1997). <strong>Die</strong>ser Ansatz vermeidet A­priori­Annahmen<br />

über die relative Wichtigkeit bestimmter Klassen von Akteuren und er<br />

25 Moravcsiks Version des »liberalen Intergouvernementalismus« bezieht sich freilich in erster<br />

Linie auf die großen konstitutionellen Verhandlungslösungen in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>europäischen</strong><br />

<strong>Integration</strong>. Ihre Übertragung auf »alltägliche Entscheidungen« setzt also ein Delegationsmodell<br />

voraus, das nicht ausschließt, dass nationale Regierungen (als »multiple principals«)<br />

das Handeln von Kommission und Gerichtshof (ihren »agents«, vgl. auch Pollack 1997) nicht<br />

vollständig kontrollieren können.<br />

26 Indem sie den Cassis-Fall als Hauptbeispiel heranziehen, haben Burley und Mattli freilich das eigene<br />

Argument geschwächt. Jede vernünftige Lesart <strong>der</strong> intergouvernementalen Position müsste<br />

ja eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Ebenen von Regeln o<strong>der</strong> zwischen einer<br />

Regel und ihrer Anwendung zulassen (Kiser/Ostrom 1982): <strong>Die</strong> Tatsache, dass die eines Verstoßes<br />

überführte Regierung <strong>der</strong> Anwendung einer Regel wi<strong>der</strong>spricht, beweist also nicht, dass sie<br />

auch gegen die Regel selbst Einwände hatte. Demgegenüber vertrete ich die Auffassung, dass<br />

die gerichtliche Ausdehnung <strong>der</strong> negativen <strong>Integration</strong> unter institutionellen Bedingungen stattfand,<br />

die bereits die Aufstellung <strong>der</strong> Regel selbst <strong>der</strong> Kontrolle nationaler Regierungen entzog.<br />

27 Vgl. auch Weiler (1992, 1994) und Mattli/Slaughter (1995).

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!