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Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

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426 H e n r i k en d e r l e i n<br />

2.3 Lohnpolitik<br />

Der Lohnfindungsprozess setzt sich aus einer im Län<strong>der</strong>vergleich variierenden<br />

Summe von Einzelabschlüssen zusammen, <strong>der</strong>en idealtypische Anzahl in einem<br />

vollständig koordinierten System bei 1 liegt und in vollkommen dezentralisierten<br />

Systemen so groß ist wie die Anzahl <strong>der</strong> Arbeitsverträge in <strong>der</strong> Volkswirtschaft.<br />

Für das hier analysierte Problem ist die Ausgestaltung lohnpolitischer<br />

Institutionen insofern von Bedeutung, als geklärt werden muss, unter welchen<br />

Umständen die Tarifpartner in <strong>der</strong> Lage sind, mittelfristige makroökonomische<br />

Zielvariablen in ihre Tarifpolitik miteinfließen zu lassen, also im Falle eines zyklischen<br />

Booms – dies ist das einzige Szenario, in dem <strong>der</strong> Lohnpolitik eine<br />

stabilitätspolitische Bedeutung zufällt – kurzfristige Reallohnverluste aus mittelfristigen<br />

Stabilitätsüberlegungen heraus zu akzeptieren.<br />

In <strong>der</strong> wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion über die ökonomischen<br />

Wirkungen unterschiedlicher Lohnverhandlungssysteme war <strong>der</strong> Dezentralisierungsansatz<br />

lange Zeit tonangebend (zum Beispiel Siebert 1997). <strong>Die</strong> Individualisierung<br />

<strong>der</strong> Lohnaushandlung und die mit ihr verbundene Konkurrenzsituation<br />

auf dem Arbeitsmarkt, so argumentieren Vertreter dieses Ansatzes, führt auf<br />

aggregiertem Niveau zu optimalen Ergebnissen, weil potenziell negative Folgen<br />

überhöhter Abschlüsse von den beteiligten Akteuren selbst getragen werden<br />

müssen. Ob diese Argumentation grundsätzlich überzeugend ist o<strong>der</strong> nicht, ist<br />

hier von geringer Relevanz. Denn aus stabilitätspolitischer Perspektive ist nur die<br />

Performanz von Lohnfindungssystemen während eines Überhitzungszyklus von<br />

Interesse. Was diesen Punkt betrifft, zeigt sich, dass die in <strong>der</strong> Volkswirtschaftslehre<br />

dominierende Dezentralisierungsthese nicht überzeugen kann. Schließlich<br />

wird ein zyklischer Boom in <strong>der</strong> Regel von sinken<strong>der</strong> Arbeitslosigkeit begleitet,<br />

die bis zur Vollbeschäftigung führen kann. Gerade unter diesen Voraussetzungen<br />

aber können die Löhne weiterhin steigen, wenn die antizipierte Inflation hoch<br />

ist und die Realzinsen niedrig, weil kein »automatisch« wirken<strong>der</strong> ökonomischer<br />

Korrekturfaktor den Überhitzungszyklus anhält. Was gebraucht wird, ist also eine<br />

willentlich auf Stabilisierung ausgerichtete Instanz. Und gerade über eine solche<br />

Instanz verfügt ein dezentralisiertes System nicht. Aus kurzfristig rationaler Perspektive<br />

besteht we<strong>der</strong> aufseiten <strong>der</strong> Lohnempfänger noch aufseiten <strong>der</strong> Unternehmen<br />

ein unmittelbarer Anreiz zur Lohnzurückhaltung. <strong>Die</strong>se Schwierigkeit<br />

<strong>der</strong> Zukunftsprojektion eines dezentralisierten Systems wird auch aus handlungstheoretischer<br />

Perspektive unterstrichen. Jon Elster (1979) weist darauf hin, dass<br />

»deferred gratifications«, das Akzeptieren gegenwärtiger Verluste zugunsten zukünftiger<br />

Gewinne, in einem System individuellen Handelns nur schwer zu erzielen<br />

sind und sich allenfalls durch Vorkehrungen stützen lassen, die die Freiheit<br />

spontanen Handelns disziplinieren (siehe auch Scharpf 1987: 221).

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