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Die Politische Ökonomie der europäischen Integration - MPIfG

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152 M a r t i n Hö p n e r u n d ar M i n Sc H ä f e r<br />

tion nahe. In keinem <strong>der</strong> Fälle ging es lediglich um technische, Transaktionskosten<br />

reduzierende, Glaubwürdigkeitsprobleme lösende Maßnahmen, die manche<br />

besser und niemanden schlechter stellen (Kriterium <strong>der</strong> Pareto-Effizienz).<br />

<strong>Die</strong>ser Umstand gewinnt zusätzlich dadurch an demokratietheoretischer<br />

Brisanz, dass die in <strong>der</strong> postricardianischen Phase zu beobachtenden Liberalisierungsversuche<br />

durch Wortlaut und Geist des <strong>europäischen</strong> Primär- und Sekundärrechts<br />

kaum noch, und manchmal sogar überhaupt nicht, gedeckt erscheinen.<br />

Gewiss, nicht alle Leserinnen und Leser mögen dieser Deutung auf Anhieb<br />

folgen. Wie aber sind folgende Fragen zu beantworten: Hatten die Staats- und<br />

Regierungschefs bei ihrer Zustimmung zur <strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie intendiert,<br />

damit ein »Streikrechtsbeschränkungsgesetz« (Florian Rödl) zu beschließen<br />

(EuGH-Urteil im Fall Laval)? Waren die in Art. 3 Abs. 1 <strong>der</strong> Entsen<strong>der</strong>ichtlinie<br />

genannten Schutzbereiche jemals als maximale Höchststandards, die den Erbringern<br />

von <strong>Die</strong>nstleistungen zugemutet werden können, gedacht (EuGH-Urteil<br />

im Fall Rüffert)? Sollte die Nie<strong>der</strong>lassungsfreiheit die Mitbestimmung beschränken<br />

(EuGH-Urteil im Fall Centros), die Kapitalverkehrsfreiheit das Prinzip <strong>der</strong><br />

sharehol<strong>der</strong> primacy etablieren (Übernahmerichtlinie), die <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit<br />

nationales Arbeitsrecht außer Kraft setzen (<strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie und nachfolgende<br />

Urteile)? Entspricht es Wortlaut o<strong>der</strong> Geist <strong>der</strong> <strong>europäischen</strong> Verträge,<br />

das Grundrecht auf Menschenwürde müsse »mit den Erfor<strong>der</strong>nissen hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> durch den Vertrag geschützten Rechte in Einklang gebracht werden und<br />

dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen« (Ziffer 94 des EuGH-Urteils<br />

zu Laval)? Moravcsik hatte stets die Auffassung vertreten, die demokratisch legitimierten<br />

Regierungen <strong>der</strong> Mitgliedstaaten seien letztlich in allen Phasen <strong>der</strong><br />

<strong>Integration</strong> Träger und Kontrolleure europäischer (Liberalisierungs-)Politik geblieben.<br />

Wir bestreiten nicht, dass diese Sicht <strong>der</strong> Dinge in vergangenen Phasen<br />

des <strong>Integration</strong>sprozesses einen Teil <strong>der</strong> Wahrheit aufdeckte. Auf die gegenwärtige<br />

Phase allerdings wird man die radikal intergouvernementale Interpretation<br />

Moravcsiks schwerlich übertragen können. 17 Und damit stellt sich auch die<br />

Frage <strong>der</strong> Legitimität europäischer Politik neu. Haben die Mitgliedstaaten die<br />

Kontrolle über europäische Liberalisierungspolitik verloren und geht sie über<br />

die Vertragsbestimmungen hinaus, ist sie auf <strong>der</strong> Input-Seite des politischen<br />

Prozesses legitimatorisch leer.<br />

In <strong>der</strong> Einleitung zu diesem Band haben wir uns mit outputbezogenen<br />

Rechtfertigungen europäischer Liberalisierungspolitik auseinan<strong>der</strong>gesetzt. So<br />

findet sich bei Moravcsik das Argument, <strong>der</strong> Liberalisierungsbias <strong>der</strong> EU recht-<br />

17 Zur Analyse dieser Vorgänge erscheint die einseitige Stützung auf Delegationstheorien ungeeignet;<br />

sie decken allenfalls noch die halbe Wahrheit auf und bedürfen <strong>der</strong> Ergänzung um<br />

Usurpationstheorien. Usurpation ist definiert als die Aneignung hoheitsstaatlicher Befugnisse.

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