Ukraina, Land und Volk ; eine gemeinfassliche Landeskunde

206
historische Tradition verblieben und entwickelten sich
trotz vieler Hindernisse immer mehr. Der Aufschwung
der ukrainischen Literatur hat dazu das meiste beigem
tragen.
Der nationale Gedanke wurde zuerst* in Russisch^
Ukraina lebendig und knüpfte vor allem an die Tradition
der ehemaligen Autonomie des Landes an. Bereits in
den VierzigerJahren des 19. Jahrhunderts war die natio^
nale Ideologie des modernen Ukrainertums in den Haupts
Zügen fertig. Sie drang dann sehr schnell nach öster*
reichischsUkraina ein und besonders Galizien wurde in
Bälde zu einem nationalen Piemont der in Rußland rück?
sichtslos unterdrückten ukrainischen Nation.
Die heutigen politischen Bestrebungen der ukrainis
sehen Nation sind eine geradlinige Fortsetzung ihrer
früheren Bestrebungen und ein logisches Resultat der
ukrainischen geschichtlichen Tradition. Das Ideal dieser
Bestrebungen war und ist Freiheit und Gleichheit aller
Staatsbürger und das Teilnehmen aller an der Regierung
und Gesetzgebung. Erst jetzt hat dieses Ideal aufgehört,
ein Anachronismus zu sein, erst die heutigen Zeiten er?
öffnen der ukrainischen Nation ein Feld der politischen
Betätigung, erst heute sind diese Formen des politischen
Lebens, welche die ukrainische Nation in so weit ent*
legenen Jahrhunderten, natürlich ohne Erfolg, anstrebte,
das Gemeingut der ganzen zivilisierten Welt geworden.
Daher können wir ganz getrost in
die Zukunft schauen.
Erst jetzt sind die Zeiten gekommen, in denen die ukra?
inische Nation ihr politisches Leben frei
entfalten kann,
in denen diese politischen Ideale, welche Heiligtümer
dieser Nation jahrhundertelang waren, das gemeinsame
Gut der Kulturmenschheit geworden sind.
Die Entwicklung des ukrainischen Nationalgedan^
kens ging von kleineren Zielen allmählich zu größeren