Ukraina, Land und Volk ; eine gemeinfassliche Landeskunde

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Die Dogmen und die Riten sind für die Glaubensaiif*
fassung der Ukrainer weniger bedeutend. Daher be*
stehen trotz Glaubensverschiedenheit nicht die geringsten
Gegensätze zwischen der großen Masse der orthodoxen
Ukrainer Rußlands und der Bukowina und den 4,000.000
griechisch-katholischen Ukrainern Galiziens und Ungarns.
Von der alten Kultur und Berücksichtigung des Indivi?
duums kommt auch die große Toleranz der Ukrainer gegen
fremde Religionen, eine Toleranz, welcher wir bei Polen
und Russen nicht begegnen. Ebenso war die Seele des
Ukrainers seit jeher allen Sekten und Roskols gegenüber
gleichgültig. Bei den Polen blühte das Sektenwesen im
16. Jahrhundert sehr üppig, bei den Russen gibt es bis
heute unzählige, manchmal sehr seltsame Sekten, und es
bilden sich immer neue. Bei den Ukrainern ist es nur
zur Bildung einer einzigen Sekte gekommen, der soge^s
nannten Stunda (eine Art von Baptismus). Diese Sekte ist
jedoch kein Resultat einer Ritusformalistik, sondern nur
eine Folge der Russifizierung der ukrainischen nationalen
Kirche. Um zu Gott in ihrer Muttersprache zu beten,
beharrt über eine Million des ukrainischen Landvolkes
bei diesem von benachbarten deutschen Kolonien her*
übergekommenen Glaubensbekenntnis, trotz harter Ver*
folgung seitens der russischen Geistlichkeit und Re*
gierung.
Am schönsten und am höchsten erscheint der Wert
der ukrainischen Kultur in der mündlichen Volksliteratur.
Der philosophische Sinn des ukrainischen Volkes findet
seinen Ausdruck in Hunderttausenden von Sprichwör*
tern, Parabeln, fliegenden Worten usw., deren ähnlichen
wir selbst bei höchststehenden Nationen Europas kaum
begegnen. In ihnen spiegelt sich die große Seele des
ukrainischen Volkes und seine Lebensweisheit ab. Das
Volksgenie der Ukrainer hat sich jedoch am höchsten