Ukraina, Land und Volk ; eine gemeinfassliche Landeskunde

— 214 —
Außer dem vorgeschichtlichen, byzantinischen und
christlichen Kulturgut sehen wir äußerst wenige fremde
Einflüsse in der ukrainischen Volkskultur. Sie ist sehr
selbständig und eigenartig. Die polnischen und mosko?
witischen Einflüsse sind sehr unbedeutend und treten
nur hie und da in den Grenzgebieten der Ukraina auf.
Es hieße eine ausführliche ethnologische Schilderung
des ukrainischen Volkes geben, wenn wir uns ein voll*
kommenes Bild seiner eigenartigen Kultur machen wölb
ten. Eine solche Schilderung gehört nicht in die Geo*
graphie, um so weniger in ein Buch so allgemeinen In*
haltes wie das vorliegende. Daher werde ich nur kurz
die Erscheinungen der ukrainischen Volkskultur be*
sprechen, damit auch bei dieser Gelegenheit die selb*
ständige Stellung der Ukrainer unter den Völkern Ost*
europas im rechten Lichte erscheine.
Die ukrainischen Dörfer (mit Ausnahme der Ge*
birgsdörfer, welche aus einer langen unregelmäßigen
Reihe von Gehöften bestehen) sind malerisch an sorgfäb
tig
gewählten, immer landschaftlich schönen Orten auf*
gebaut. Die Hütten eines typischen ukrainischen Dorfes
sind immer von Obstgärten umgeben, denen wir bei den
Russen und Weißrussen beinahe niemals, bei den Polen
selten begegnen. Diese Nachbarn der Ukrainer legen
Obstgärten nur in den wenig zahlreichen Gegenden
an, wo eine professionelle Obstkultur sich entwickelt
hat. In einem ukrainischen Dorf wird das Grün der
Obstgärten für unumgänglich notwendig erachtet. Der
Russe will die Bäume in der Nähe seiner Hütte nicht
dulden. Sie verdecken ihm die Aussicht. In der Ukraina
ist
ein Obstgarten ein unumgänglicher Bestandteil selbst
des ärmsten Bauernanwesens. Und die ukrainischen
Einzelhöfe, in denen noch sehr viel von dem Geiste der
glorreichen nationalen Vergangenheit lebt, verschwinden