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TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen

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„Nicht Einheit also ist das letzte Pensum des Platonischen Philosophen -<br />

dieses alte, parmenideische Einheitspathos läßt er vielmehr hinter sich -, und<br />

nicht Sophistik ist sein Schicksal - vor dieser, die nur für Unkundige der Dialektik<br />

zum Verwechseln ähnlich sieht, bewahrt ihn sein differenziertes<br />

Bestimmungsvermögen -, sondern der „rein und recht Philosophierende“<br />

führt die <strong>St</strong>ruktur des Ganzen als eine <strong>St</strong>ruktur mannigfaltiger Unterscheidungen<br />

und Verflechtungen vor Augen.“ 121<br />

Auch d’Alembert, der Wissen systemisch rekonstruiert, muss auf der Suche<br />

nach einem alles übersehenden <strong>St</strong>andpunkt schließlich kapitulieren und feststellen,<br />

dass jeder <strong>St</strong>andpunkt nur eine Perspektive sein kann, nur eine<br />

Sicht. 122 Die Übersicht existiert über Inseln im Ozean, nicht über deren Verbindungen<br />

unter dem Meeresspiegel. So bleibt eine Perspektive immer der<br />

Willkür verhaftet, der Willkür ihrer Auswahl als Ausgangspunkt. 123 Alle<br />

unterschiedlichen Perspektiven weisen dabei <strong>St</strong>ärken und Schwächen auf,<br />

und es scheint keine auffindbar, die die <strong>St</strong>ärken aller anderen in sich vereint,<br />

ohne dies auf Kosten von Schwächen bewerkstelligen zu können.<br />

Auch Wittgenstein scheint, so Welsch, in den Kanon der Perspektivenvielfalt<br />

einzustimmen. Die von unterschiedlichen Philosophen im Laufe der Jahrhunderte<br />

angefertigten „Landschaftsskizzen“ des vermeintlich Realen kommen<br />

nur in ihrer Gesamtheit, quasi als übereinander gelegte Folien, dem Tatsächlichem<br />

nahe; sie vermögen in ihrer Ansammlung dem Betrachter „ein<br />

Bild der Landschaft“ 124 zu vermitteln.<br />

121 Welsch (1996: 642f.).<br />

122 Vgl. hierzu d’Alembert/Diderot et al. (1989: 53f.). Auch Barthes deutet die Frage des<br />

Ganzen und des Zugangs zu diesem in Bezug auf das literarische Herzstück der<br />

Französischen Revolution an: „Die Enzyklopädie hört nicht auf, eine pietätslose Fragmentierung<br />

der Welt vorzunehmen, aber was sie an der Grenze dieses Bruchs findet,<br />

ist nicht der gänzlich reine Urzustand der Ursachen. Das Bild zwingt sie meistens,<br />

einen eigentlich unverständigen Gegenstand wieder zusammenzusetzen; ist die erste<br />

Natur einmal aufgelöst, taucht eine andere Natur hervor, ebenso geformt wie die<br />

erste. Mit einem Wort: das Aufbrechen der Welt ist unmöglich: Ein Blick genügt - der<br />

unsrige - damit die Welt immerwährend vollständig ist.“ (Barthes, R. (1989): Bild,<br />

Verstand, Unverstand, in: d‘Alembert/Diderot (1989), S. 30-49, hier S. 48; Hervorhebung<br />

im Original; ursprünglich entnommen aus: Barthes, R./Seguin, J.P./Mauzi, R.<br />

(1964): L’Univers de L’Enzyklopédie, Paris).<br />

123 Auch Habermas deutet eine „rekontextualisierende Vernunftkritik“ (Habermas 1998:<br />

222) in ihren Grenzen der immanenten Kritik: „Wenn es jedoch keine Vernunft gibt,<br />

die ihren eigenen Kontext übersteigen kann, wird auch der Philosoph, der dieses Bild<br />

vorschlägt, keine Perspektive für sich in Anspruch nehmen dürfen, die ihm einen solchen<br />

Überblick erlaubt.“ (Habermas 1998: 223).<br />

124 Wittgenstein (1984: 231f., zitiert nach Welsch 1996: 646).<br />

125

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