TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen
TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen
TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Bislang bewegen sich die Argumentationen in der mehr oder minder stringenten<br />
Fortführung der Kantischen Moralphilosophie und dem Gleichheitsprinzip<br />
der Moderne. Angeklungen sind aber bereits die „ästhetische Sensibilität“<br />
(Rorty), die „Fürsorge“ (White) oder der „stumme Widerstreit“<br />
(Honneth in Bezug auf Lyotard), welche scheinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz<br />
harmonieren. Bei einer näheren Betrachtung jedoch fällt auf, dass<br />
insbesondere im Begriff der „Fürsorge“ eine Asymmetrie impliziert ist, die<br />
mit der gerechten Gleichbehandlung der Moderne nicht vollständig in Einklang<br />
zu bringen ist. Wie Honneth ausführt, ist es Derrida, der seinerseits in<br />
Bezug auf Lévinas den bisherigen Erkenntnissen und Fortführungen von<br />
Kant eine qualitativ neuartige, weil die Moderne transzendierende Erkenntnis<br />
hinzufügen kann. Im Anschluss an einen Kernpunkt seiner Forschung,<br />
der „individuellen Besonderheit“, entwickelt Derrida die umfassende Wahrnehmung<br />
des Anderen im Gegensatz zu dem Gleichheitsprinzip der Moderne:<br />
214<br />
„Im Unterschied zu White sieht er [Derrida; T.B.] diese kritische Einsatzstelle<br />
aber nicht dort angelegt, wo in der philosophischen Tradition seit Kant die<br />
moralische Perspektive der Gerechtigkeit ihren Platz hat; seine These ist vielmehr,<br />
daß dem individuellen Subjekt in seiner Differenz zu allen anderen nur<br />
eine moralische Perspektive gerecht zu werden vermag, die sich in einem<br />
Verhältnis der produktiven Entgegensetzung zur Idee der Gleichbehandlung befindet.“<br />
123<br />
Derrida, wie auch Lévinas, geht es darum, die Gerechtigkeit in ihrer Gleichbehandlung<br />
des verallgemeinerten Gegenübers und ihrer fürsorglichen<br />
Ungleichbehandlung des individuellen Gegenübers zu begreifen. Dabei sind<br />
die Ausführungen von Lévinas, der diese Formen der (Un-)Gleichbehandlung<br />
in eine Konzeption von Gerechtigkeit integriert, Ansatzpunkt für<br />
Derridas Bemühungen, der aber das Zusammenspiel der Formen eher dialektisch<br />
interpretiert. Der Freundschaftsbegriff spielt hierbei eine zentrale<br />
Rolle in der Argumentation von Derrida und ist seit jeher von Interesse für<br />
die praktische Philosophie, weil er exemplifiziert, „wie zwei unterschiedliche<br />
Einstellungen der Moral in einem einzigen Sozialverhältnis eine Einheit zu<br />
bilden vermögen“ 124. Es ist dies auf der einen Seite die asymmetrische Verpflichtung,<br />
die sich auf uneingeschränkte Sympathie und Zuneigung grün-<br />
123 Honneth (2000a: 155f.; Hervorhebungen vom Verfasser).<br />
124 Honneth (2000a: 156).