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TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen

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Dieses Moment der Aktivität ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der „Aktivitätsorientierung<br />

der neuzeitlichen Moral“ 104. Im Gegenteil: die aktive Toleranz<br />

geschieht, in Anlehnung an White, in einer differenzierten und differenzierenden<br />

Distanz. White bezieht sich seinerseits auf Denkansätze, die er<br />

bei Nietzsche, Heidegger und Adorno findet. 105 Ob es die Heideggersche<br />

„Gelassenheit“ oder die „mimetische Reaktion“ bei Adorno ist - die Aussagen<br />

beschreiben eine ähnliche Überzeugung: Das Handlungssubjekt ist in<br />

seiner Fähigkeit der Wahrnehmung anderer Subjekte und deren Einstellungen<br />

eingeschränkt, sofern ein wie auch immer gearteter Druck für den Handelnden<br />

existiert. 106 Der Andere wird nicht mehr als „bloßes Objekt der moralischen<br />

Pflichterfüllung“ 107 wahrgenommen, sondern in seiner individuellen<br />

charakterlichen und charakteristischen Differenzierung erfasst. 108 Es<br />

scheint die Einsicht in die Notwendigkeit der Öffnung und Sorgfalt in der<br />

Rezeption des Anderen verloren gegangen zu sein. Wie bereits angedeutet,<br />

ist dies zumindest zu einem gewichtigen Teil auf den Zielpunkt der Moderne<br />

zurückzuführen, der in der Einheit als Selbstzweck gesehen werden kann.<br />

104 Honneth (2000a: 144f.).<br />

105 Vgl. hierzu White (1991: 21f.).<br />

106 Vgl. hierzu auch die Rezeption bei Habermas (1998: 210ff.) und bei Wellmer (1985).<br />

107 Honneth (2000a: 145).<br />

108 Auch die Diskursethik nimmt diesen Aspekt des „sich Entledigen von Handlungsdruck“<br />

auf. Apel und Habermas beschreiben in den <strong>St</strong>udien zur Diskursethik, dass<br />

diese zeitweilige Distanzierung von Handlungszwang zu einer effektiveren Umsetzung<br />

des diskursethischen Ideals beiträgt. Der ursprünglichen diskursethischen Intention,<br />

den Kantischen Ansatz intersubjektiv zu ergänzen, wird somit nicht nur in<br />

der Form, sondern auch im Wesen Rechnung getragen. Vgl. hierzu Habermas (1981a:<br />

437f.) und Apel, K.-O. [Hrsg.] (1976): Sprachpragmatik und Philosophie, Frankfurt. In<br />

ähnlicher Form beschreibt dies auch Kirsch in seiner Kommunikationsanalyse für den<br />

ökonomischen Kontext. Vgl. hierzu Kirsch (1992: 82ff.) und Kirsch, W. (1996): Wegweiser<br />

zur Konstruktion einer evolutionären Theorie der strategischen Führung: Kapitel<br />

eines Theorieprojektes, Herrsching, S. 389ff. Hier wird eine solche Situation als<br />

„handlungsentlasteter Interaktionszusammenhang“ bezeichnet. Dabei wird der Andere<br />

jenseits seiner hierarchischen Position und der sich hieraus ergebenden Rolle<br />

wahrgenommen. Aus wirtschaftsethischer Perspektive ergibt sich eine über die ökonomische<br />

Rationalität hinausreichende Analyse: Mit dieser Identifikation eines<br />

handlungsentlasteten Interaktionszusammenhangs eng verbunden ist der Bezugsrahmen<br />

der Wirtschaftssubjekte. Dieser konstituiert sich aus der ökonomischen Rationalität<br />

heraus und schafft eine Kultur des Handelns, die auf ökonomische Ziele<br />

ausgerichtet ist. Der durch den systemischen Kontext (Markt) erzeugte Sachzwangcharakter<br />

dieser Kultur generiert einen permanenten Druck zur Handlungsaktivität,<br />

die „Überleben“ sichert, so die ökonomistische Sichtweise. Außerhalb dieses Handlungsdrucks,<br />

im so genannten „Kamingespräch“, ist eine völlig unterschiedliche<br />

Kommunikation möglich, die jenseits der ansonsten funktional-instrumentellen intersubjektiven<br />

Verbindung stattfindet.<br />

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