TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen
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7.1.1 Paradigma-Begriff nach Kuhn 140<br />
In der Welsch’schen Wiedergabe lässt sich der Kuhnsche Paradigma-Ansatz<br />
wie folgt charakterisieren: Der Paradigma-Begriff folgt einer dualen Differenzierung,<br />
welche man zum einen als rational-strukturell und zum anderen<br />
als exemplarisch charakterisieren könnte. Die rational-strukturelle Interpretation<br />
des Paradigma-Begriffs weist auf die Vorstellung einer unter dem Paradigma-Begriff<br />
subsumierten Konstellation von Meinungen, Werten und<br />
Methoden hin, welche in ihrer umfassenden Bedeutung leitend für das Denken<br />
und Handeln der sich in diesem Paradigma bewegenden Individuen<br />
sind. Der exemplarische Charakter weist hingegen auf ein Verständnis hin,<br />
welches das Paradigma als spezifische Problemlösungsstruktur interpretiert,<br />
die in ihrer Charakteristik zwar auch geleitet ist von Meinungen, Methoden<br />
und Werten, jedoch nur und im Besonderen in dieser spezifischen situationsabhängigen<br />
Problemstruktur zum Tragen kommt. 141 Diese zweite Semantik<br />
hebt sich deutlich von der ersten ab. Welsch vertritt den <strong>St</strong>andpunkt, dass<br />
diese zweite Semantik als ein Teil der ersten Interpretation gesehen werden<br />
kann. Damit hätte die exemplarische Deutung ihre Eigenständigkeit im Sinne<br />
einer Gleichwertigkeit zur rational-strukturellen Semantik eingebüßt.<br />
Auch Kuhn schränkt die exemplarische Bedeutung des Paradigma-Begriffs<br />
ein, lässt sie aber bestehen. Dies kann nach der Welsch’schen Konzeption<br />
nicht gelten, weil diese den Paradigma-Begriff unbedingt an den Rationalitätsbegriff<br />
angeschlossen sieht und als Resultante des zweiten Pluralisie-<br />
140 Grundsätzlich stützt sich die folgende Darstellung auf Kuhn, Th.S. (1977): Neue<br />
Überlegungen zum Begriff des Paradigmas, in: ders. (1977), Die Entstehung des<br />
Neuen. <strong>St</strong>udien zur <strong>St</strong>ruktur der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt, S. 389-420, Kuhn<br />
(1976), Kuhn (1979) und die Rezeption bei Welsch (1996: 543ff.) und Lueken (1992:<br />
118ff.).<br />
141 Diese spezifische Differenzierung ergibt sich aus dem spezifischen Forschungsinteresse<br />
von Welsch, stellt aber keine allgemein gängige Differenzierung dar. Da die Darstellung<br />
bei Kuhn vielfältige und zum Teil sich partiell widersprechende Charakterisierungen<br />
liefert, ist ein genaues Fassen der Definition nur schwer möglich. Masterman<br />
(1974) hat aus diesem Grund sich die Mühe gemacht, die unterschiedlichen Semantiken<br />
in drei Kategorien zu unterteilen. Diese Kategorien unterscheiden sich inhaltlich<br />
und differenzieren den Paradigmabegriff nach Kuhn. Masterman unterscheidet<br />
die Dimensionen metaphysisch (Glaubenssätze etc.), soziologisch (Gewohnheiten,<br />
Gemeinsamkeiten etc.) und konstruiert (konkretes Musterbeispiel). Lueken (1992: 119)<br />
schlägt vor, den Begriff „konstruiert“ durch „instrumentell“ zu ersetzen. Diese inhaltlichen<br />
Differenzierungen zeigen deutlich das „Gegengewicht“ zu einer rein phänomenologischen<br />
<strong>St</strong>rukturanalyse, wie Welsch sie vornimmt. Vgl. Masterman, M.<br />
(1974): Die Natur eines Paradigmas, in: Lakatos, I./Musgrave, A. (Hrsg.), Kritik und<br />
Erkenntnisfortschritt, Braunschweig, S. 59-88, zitiert nach Lueken (1992: 118f.).<br />
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