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TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen

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3.3 Raum, Zeit, Sprache – die Eskalation der Kolonialisierung<br />

Im Folgenden soll abschließend versucht werden, die konkreten lebensweltlichen<br />

Veränderungen in einen Zusammenhang zu stellen. Dieses einleitende<br />

Kapitel konnte, auch aus der historischen Betrachtung, die unterschiedlichen<br />

<strong>St</strong>ufen der Kolonialisierung nachzeichnen. Diese <strong>St</strong>ufen stehen in einem Zusammenhang,<br />

der sich als Eskalationszusammenhang interpretieren und rekonstruieren<br />

lässt.<br />

Lyotard beschreibt die zunehmende Vereinnahmung der Lebenswelt durch<br />

das ökonomische System - auch wenn er sich dieser Terminologie in dem<br />

Sinne nicht bedient - indem er Raum, Zeit und Sprache in eine „Kolonialisierungs-Sukzession“<br />

stellt. 142 Er stellt die Hypothese auf, dass „Kapital eine<br />

Hegemonialmacht über die Zeit ist“ 143. In Anlehnung an Marx, der das<br />

Kapital als Hegemonialmacht über die Kraft (Arbeitskraft bzw. Produktivkraft<br />

allgemein) beschrieb, leitet Lyotard aus den Charakteristika des<br />

Tausches die ökonomische Relevanz der Zeit ab. Es liegt in der „Natur“ der<br />

Sache, dass zwischen Tauschaktionen am Markt „Zeit“ vergeht. Diese Zeit<br />

lässt sich das Wirtschaftssubjekt (A) für sein Produkt (x) von demjenigen<br />

erstatten, der schließlich als nächster Tauschpartner (B) mit dem (Tausch-)<br />

Produkt (y) im Markt auftritt.<br />

„Der Kapitalismus führt nun ein großes Prinzip ein: das Intervall, das Abtretung<br />

und Gegenabtretung trennt, ist für A verlorene Zeit. B muß ihm diese<br />

vorgeschossene Zeit zusätzlich zum Wert von y zurückerstatten. Die Quelle<br />

des zusätzlichen Werts, den A aus dem Tausch zieht, liegt nicht im Objekt y,<br />

sondern in der Zeit, die B verliert, bis er A y überläßt. (...) Damit komme ich<br />

zum Gedanken, daß Geld zu haben heißt, Zeit zur Verfügung zu haben.“ 144<br />

Lyotard überträgt dies auf die Arbeitssituation.<br />

„Ein Lohnarbeiter ist jemand, der einen wichtigen Teil seiner realen Zeit abtreten<br />

muß, um die Geldmenge (den Lohn) zu erwerben, mit der er seinerseits<br />

erst in den Tauschverkehr eintreten kann (während der andere bereits durch<br />

Kreditgeld darin eintritt). Auf diese Weise begreift man wohl recht gut,<br />

warum es im Kapitalismus allein darum geht, Zeit zu gewinnen („gagner du<br />

142 Die Dimension „Raum“ sei im Folgenden nicht explizit aufgenommen, da sie auch in<br />

der Argumentation nicht erörtert wurde. Die ökonomische Überlagerung, eine Art<br />

von „Versiegelung“, ist nicht nur in Bezug auf den ökologischen Raum, sondern auch<br />

auf den sozialen Raum allenthalben offensichtlich.<br />

143 Lyotard, J.-F. (1985): Immaterialität und Postmoderne, Berlin, S. 49.<br />

144 Lyotard (1985: 50).<br />

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