TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen
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Die „geduldete Toleranz“ hatte hierbei Alibi-Funktion, da eine „aktive Toleranz“<br />
des Anderen in ihrem offenen Charakter nach Auffassung der Moderne<br />
nicht zielführend gewesen wäre. Dies führt zu einem der zentralen<br />
Differenzierungskriterien zwischen Moderne und Postmoderne: Es ist diese<br />
Ergebnisoffenheit, die es der Postmoderne erlaubt, sich eine detailliertere<br />
Wahrnehmung des Anderen zu „leisten“. Wie bereits angedeutet, ist dies<br />
nicht zuletzt eine aus der historischen Erfahrung heraus entstandene Überzeugung.<br />
Die postmoderne Gestaltung der Intersubjektivität zeichnet sich<br />
durch ihren Forumscharakter aus. Die Metapher des „Forums“ findet sich als<br />
komplementärer Gegenpol zu der Metapher des „Faktors“ wieder. Beide<br />
Formen besitzen in ihrem Wesen einen legitimen Anspruch. Das Forum<br />
zeichnet sich durch eine Orientierung an der „idealen Sprechsituation“ aus,<br />
wie sie Habermas (1981) beschrieben hat. In ihr herrschen Prinzipien wie<br />
Akzeptanz, Gleichheit und Gleichberechtigung unter den Aktoren der<br />
Kommunikation. Maßgeblich aber scheint die prinzipielle Ergebnisoffenheit<br />
zu sein, die die diskursiven Beiträge in ihrer inhaltlichen (Meinung) und<br />
formalen (Person) Bedeutung für den Gesamtverlauf der Diskussion gleichberechtigt<br />
berücksichtigt. Der „Faktor“ bezieht seine Legitimation aus der<br />
Notwendigkeit von Konsensorientierung, um als kollektiver Akteur im gesellschaftlichen<br />
Diskurs einen möglichst homogenen Beitrag leisten zu können.<br />
Dieses vielleicht modern, da vereinheitlichend anmutende Element ist<br />
aufgrund seiner zur Moderne differenten Intention von dieser abzuheben. Im<br />
Vordergrund steht nicht wie in der Moderne die Einheit als Selbstzweck, als<br />
per se Legitimes, sondern die Legitimität durch die praxeologische Konse-<br />
quenz. 109<br />
109 Der kollektive Akteur „Diskurs-Gruppe“ beispielsweise ist nicht in diesem Sinne gesellschaftlich<br />
relevant, wenn keine Beiträge zu der gesamtgesellschaftlichen Diskussion<br />
zu erwarten sind. Ihre Bedeutung für den Einzelnen mag sie gewiss haben, jedoch<br />
verlangt die Komplexität des Kommunikationsraumes „Gesellschaft“ nach „akkumulierten“<br />
individuellen Meinungen. Die parlamentarische Demokratie versucht<br />
dieser Tatsache mit ihrem Parteiensystem Rechnung zu tragen. Die Wahrnehmung<br />
des Einzelnen in seiner Einstellung kann also auf gesellschaftlicher Ebene nur in der<br />
organisierten Form (Partikularismus) wahrgenommen werden. Dies legitimiert die<br />
Faktor-Dimension eines kollektiven Akteurs, der zu einer erhöhten Sensibilisierung<br />
für die Andersartigkeit des Anderen beiträgt. Rorty beschreibt diese Sensibilität als<br />
„ästhetische Sensibilität“ und schreibt ihr die Rolle zu, Motor moralischen Fortschritts<br />
zu sein. Vgl. hierzu Rorty, R. (1989): Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt;<br />
Habermas, J. (1999): Die Einbeziehung des Anderen: <strong>St</strong>udien zur politischen Theorie,<br />
Frankfurt.<br />
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