TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen
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sequenzen. Zunehmend scheinen Arbeit und Leben nicht mehr eindeutig<br />
voneinander trennbar zu sein. Die Arbeit geschieht auch von daheim<br />
(Raum), sie geschieht auch am Wochenende (Zeit), sie geschieht mit Mitteln,<br />
die privat und geschäftlich genutzt werden (Hilfsmittel/Technik), sie geschieht<br />
auch unter Zuhilfenahme von privaten Kontakten, von privater<br />
Unterstützung (Arbeitsinhalt/Qualifikation/Sozialorganisation) und schließlich<br />
geschieht Arbeit in der <strong>St</strong>ringenz der Erreichung von allgemeinen<br />
Lebenszielen (Sinn/Motivation). Auf die Frage: „Wie geht’s?“ wird allgemein<br />
„...in der Arbeit läuft’s ok...“ oder „...ziemlich busy...“ geantwortet. Insbesondere<br />
letztere Kurzform des englischen Begriffs business unterstützt und<br />
wahrt den Schein des Gebraucht-Seins, des Sich-Nützlich-Machens, des<br />
sinnvollen Handelns, des Partizipierens an der (Solidar-)Gemeinschaft und<br />
der Gesellschaft durch Arbeit.<br />
Aus der Perspektive vorindustrieller Arbeitsformen mag diese Diskussion<br />
skurril anmuten, denn diese Befunde gehörten damals zum Alltag. Da wurde<br />
schon mal nach der Abendmahlzeit die Werkstatt im Erdgeschoss des<br />
Wohnhauses aufgesperrt, um die Schuhe des Herrn Nachbarn zu reparieren.<br />
Trennung von Arbeit und Leben war in dieser Zeit weder ein Bedürfnis noch<br />
ein Befund. 121 Jedoch ist die Ökonomie in ihrer Charakteristik von damals<br />
und heute nicht vergleichbar. So differieren nicht nur die äußeren Bedingungen,<br />
sondern es differieren vor allem das inhaltliche „Leistungsprofil“ der<br />
Arbeit für den Einzelnen und die Distinktion und Proliferation ökonomischer<br />
Rationalität in derselben: Zwischen ihnen liegt die Entkoppelung des<br />
Systems Ökonomie und die damit verbundene Ausdifferenzierung und Professionalisierung<br />
der ökonomischen Rationalität. Aus diesem Grund steht<br />
diese „Wiedervereinigung“ von Arbeits- und Lebenswelt heute unter anderen<br />
Vorzeichen. Auch ist die soziale Interaktion in Qualität (Loyalität, Authentizität,<br />
Solidarität) und Intensität (Feedback, Führung) heutiger Arbeitsbedingungen<br />
schwerlich mit den damaligen Verhältnissen zu vergleichen. Es<br />
121 Vgl. hierzu auch Ulrich (1993). Ulrich zeigt, dass Teile postindustrieller bzw. postmoderner<br />
Bewegungen sich inhaltlich eher im „Rückschritt auf vorindustrielle und<br />
teilweise sogar vormoderne <strong>St</strong>ufen der gesellschaftlichen Entwicklung“ (Ulrich 1993:<br />
449; Hervorhebungen weggelassen) befinden. Diesbezüglich zitiert Ulrich (1993: 448f.)<br />
u. a. Robertson, der davon spricht, dass sich die Ökonomie „auf eine Rückkehr nach<br />
Hause“ vorbereitet, was einer Entkolonialisierung der Lebenswelt gleichkommt. Vgl.<br />
Robertson, J. (1979): Die lebenswerte Alternative: Wegweiser für eine andere Zukunft,<br />
Frankfurt, S. 8 und S. 99f.<br />
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