TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen
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(Positionsungebundenheit)<br />
Zu dieser Diskussion über die Reinheit der Vernunft gehört auch das Merkmal<br />
der Positionsungebundenheit. Ähnlich wie die Reinheit über den Vollzug<br />
der Vernunft als Vermögen deutlich wurde, gewinnt auch die Positionsungebundenheit<br />
in der Betrachtung des Vollzuges an Profil. Auch<br />
Welsch diskutiert die Ungebundenheit eng an der Praxis der Interpretation,<br />
die einer vernünftigen Reflexion unterzogen wird. In dieser Praxis werden<br />
die Möglichkeiten des Umgangs mit einem Einwand gegen die eigene Position<br />
exemplifiziert. Um den Anderen in seinem Einwand zu verstehen und<br />
diesen konstruktiv in die eigene Position einfließen zu lassen, ist das zumindest<br />
teilweise Verlassen der eigenen Position notwendige Voraussetzung.<br />
Dies relativiert den eigenen <strong>St</strong>andpunkt und bewirkt eine Öffnung gegenüber<br />
der anderen Position. Welsch nennt diesen Prozess das „sich-in-die-<br />
Position-des-anderen-hineinversetzen“ und die Betrachtung der eigenen<br />
Position mit den Augen des Anderen „reziproke Interpretation“. 175 Ähnlich<br />
zu dem Idealiter der Reinheit ist wohl nun auch die weitergehende Frage<br />
nach der völligen Überwindung der eigenen Position in der Auseinandersetzung<br />
mit anderen Positionen zu verstehen. Weder das Besinnen auf die<br />
Gemeinsamkeiten, noch die Einnahme einer dritten Position ist dabei für<br />
Welsch eine praktikable Lösung. 176 Es ist vielmehr der Vollzug der Abwägung<br />
dieser verschiedenen Lösungsansätze selbst, welcher als vernünftiger<br />
Vollzug bezeichnet werden könnte. In dem Vergleich von reziproker Interpretation,<br />
wechselseitiger Repräsentation, Schnittmengen-Identifikation oder<br />
der Einnahme einer dritten Position geschieht bereits eine Ablösung von<br />
einer Position. Die Logik der Positionalität hat vor Augen geführt, dass die<br />
Reflexion über diese Logik eine Abstraktion und damit auch neutrale Reflexion<br />
etablieren kann. 177 Welsch bestätigt also die faktische Möglichkeit einer<br />
Positionsungebundenheit. Aufgrund der Tatsache, dass all diese Abstraktionen<br />
und Reflexionen nie vollständig von ihrer Position des reflektierenden<br />
Subjekts getrennt werden können, so die Kritiker, ergeben sich vielfältige<br />
Fragestellungen. 178<br />
175 Welsch (2000a: 82).<br />
176 Vgl. hierzu Welsch (2000a: 82f.).<br />
177 Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass nicht jeder Abstraktionsprozess auch<br />
automatisch zu einer Positionsungebundenheit führt.<br />
178 Vgl. hierzu den folgenden Abschnitt 7.3. Hier werden auch die anderen Bestimmungen<br />
kritisch reflektiert, sofern von deren Erörterung Aufschlüsse über eine Entwicklung<br />
ökonomischer Vernunft erwartet werden.<br />
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