TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen
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außerhalb der Ökonomie auf. In dieser Promotoren-Rolle überlagert und<br />
instrumentalisiert sie die lebensweltlichen Bedürfnisse. Diese drei Teile der<br />
gesellschaftlichen Dynamik beeinflussen sich gegenseitig, werden jedoch<br />
zunehmend durch die ökonomische Wachstumsdynamik vereinnahmt. 109 In<br />
der Folge wirken diese Veränderungen nicht nur auf die Gesellschaftsstruktur<br />
als Ganzes, sondern wirken zudem in die lebensweltlichen Bezüge<br />
eines jeden Einzelnen hinein. Technologischer Fortschritt bedeutet grundsätzlich,<br />
dass sich der Mensch professionalisierter Werkzeuge bedient, die<br />
seine Handlungsmöglichkeiten erweitern und damit zu einer <strong>St</strong>eigerung der<br />
Lebensqualität führen können. Diese erhöhte „Wirkmächtigkeit“ des Individuums<br />
bezieht sich vor allem auf die Verursachung, die Folgen können aufgrund<br />
der komplexen und zum Teil irreversiblen Reaktionsprozesse nicht in<br />
demselben Grad gehandhabt werden. 110 Es entsteht ein Schere zwischen<br />
Verursachung und Handhabung, die nicht nur zeitlich besteht111, sondern<br />
109 Illich bezeichnet diese zunehmende Abhängigkeit vom Markt als Ohnmacht. Die<br />
Argumentation und Interpretation bei Illich decken sich in weiten Teilen mit der hier<br />
entwickelten Argumentation. Vgl. Illich, I. (1978): Fortschrittsmythen. Schöpferische<br />
Arbeitslosigkeit oder Die Grenzen der Vermarktung; Energie und Gerechtigkeit; Wider<br />
die Verschulung, Reinbek bei Hamburg.<br />
110 Erschreckend deutlich wird die Ohnmacht gegenüber der Eigendynamik unserer<br />
eigenen Entwicklungen vor allem bei der Entwicklung der Atombombe, die ursprünglich<br />
als „Nebenprodukt“ in der physikalisch-chemischen Forschung entstand<br />
und nicht das Produkt gezielter Waffenentwicklung darstellt. Aber auch positive<br />
„Nebenprodukte“ fielen nach diesem „Gesetz der unbeabsichtigten Folgen“ an. So<br />
entstand zum Beispiel der Personal Computer (PC) eher beiläufig, als Bastler sich in<br />
den 70er Jahren aus Mikroprozessoren die ersten simplen Computer zusammenschraubten<br />
- aus Ermangelung an kommerziellen Angeboten. Zu dem Zeitpunkt<br />
konnte man sich nicht vorstellen, dass alles, was über einen Taschenrechner hinausgeht,<br />
für den privaten Gebrauch interessant wäre. In ähnlicher Weise sah niemand<br />
voraus, dass das Patent zur Vulkanisierung, von Charles Goodyear eingereicht, auch<br />
außerhalb des Anwendungsbereichs in der Fabrik als Gummi zum Einsatz kommen<br />
sollte. Auch der schottische Taubstummenlehrer Alexander Graham Bell, der für<br />
seine Schüler im Jahre 1876 eine Hörhilfe erfand, die „electrical speech machine“,<br />
ahnte wohl nicht, dass sich 100 Jahre später die Menschen die Welt ohne Telefon gar<br />
nicht mehr vorstellen können. Vgl. hierzu Campbell-Kelly, M./Aspray, W. (1996):<br />
Computer: A History of the Information Machine, New York; Levinson, P. (1997): The<br />
Soft Edge: A Natural History and Future of the Information Revolution, London u. a.;<br />
Johnson, S. (1997): Interface Culture: How New Technology Transforms the Way We<br />
Create and Communicate, San Francisco.<br />
111 Die Rolle der Technikfolgenabschätzung besteht darin, vor allem diese zeitliche Lücke<br />
(„gap“) weitestgehend durch Antizipation zu schließen; ganz wird dies aufgrund der<br />
Unvorhersagbarkeit der unterschiedlichsten Reaktionsprozesse wohl nie möglich<br />
sein. Vgl. hierzu im Überblick bspw. Kornwachs, K. [Hrsg.] (1991): Reichweite und<br />
Potential der Technikfolgenabschätzung, <strong>St</strong>uttgart; zur Rolle im gesellschaftlichen<br />
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