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TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen

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Kapitalismus“ mit seinen „Speed-Parolen“, „Fusionen“, „Burn-Outs“ und<br />

„Inkubatoren“ nur zögerlich handhaben und kompensieren lernt.<br />

Sennett zeigt in diesem Zusammenhang auf, dass eine Form von Erfahrungsfraktale,<br />

wie sie auch Lübbe skizziert, in zweifacher Weise relevant wird:<br />

Zum einen ist es die Handlungsfraktale in den arbeitsweltlichen Prozessen, die<br />

seit der Industrialisierung diskutiert wird, die den Blick für das Gesamte des<br />

Hergestellten und damit den Sinn des eigenen Tuns versperrt, da der<br />

Einzelne nur in einen Bruchteil des gesamten Prozessablaufes durch seinen<br />

Arbeitsbeitrag integriert ist. 3 Zum anderen führt die Kurzfristigkeit der<br />

Arbeitsverhältnisse zu einer Bereicherung, aber auch Fragmentarisierung der<br />

lebensweltlichen Erfahrung. Die kurze Verweildauer eines Arbeitnehmers in<br />

einer Unternehmung führt zu einer Arbeitskultur, die weniger durch Vertrauen<br />

und Loyalität als vielmehr durch Wettbewerb und strategische<br />

Mikropolitik gekennzeichnet ist. Das Verhältnis zu den ständig wechselnden<br />

Arbeitgebern nimmt aus Sicht des Arbeitnehmers mehr und mehr den Charakter<br />

einer „lebenslangen Probephase“ an. Es muss ständig neu eine Identität,<br />

ein <strong>St</strong>atus, ein <strong>St</strong>anding im sozialen Gefüge der Unternehmung aufgebaut<br />

werden. 4 Da eine Probephase durch die besondere Anstrengung, die<br />

Übererfüllung des Arbeitnehmers gekennzeichnet ist, entspricht dies einer<br />

latenten Ausbeutung.<br />

In der jeweiligen Lebenspraxis ist der ständige Wohnsitzwechsel - abgesehen<br />

von oft zahlreichen Geschäftsreisen - eine besondere Herausforderung für<br />

Familie bzw. für den Erhalt eines Freundeskreises. Das soziale Netz verlagert<br />

sich in das virtuelle Netz, kommuniziert über E-Mail und lernt, auf persönliche<br />

face-to-face Kontakte zu verzichten. Wie Sennett deutlich hervorhebt,<br />

kann die Flexibilisierung zu einer Erosion der Charaktere führen, die nur<br />

noch kurzfristig denken und handeln. Kontinuitätserfahrung wird seltener<br />

3 Vgl. Lübbe, H. [Hrsg.] (1982): Der Mensch als Orientierungswaise? Ein interdisziplinärer<br />

Erkundungsgang, Freiburg/München.<br />

4 Man kommt nicht umhin, bei diesen Interpretationen realsoziologischer Konsequenzen<br />

auf die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen, Branchen<br />

und Hierarchiestufen hinzuweisen. So scheint es plausibel, dass derjenige, dessen Fähigkeiten<br />

eher Wissen als spezifische Fertigkeiten sind, aufgrund des höheren Abstraktionsgrades<br />

einfacher unterschiedlich „einsetzbar“ ist, somit vermutlich auch<br />

weniger Probleme mit häufiger wechselnden Arbeitgebern hat. So ist Unternehmensberatung<br />

auf der ganzen Welt in ihren Inhalten und Methoden relativ homogen im<br />

Gegensatz zum Arbeiter in der Fertigung, der wohl niemals auf die gleichen Arbeitsschritte<br />

beim Wechsel seines Arbeitsplatzes trifft. Dies deutet eine soziale Diskriminierung<br />

an.<br />

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