TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen
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scheinlich scheint. Der Übergang zum anderen Individuum, die interindividuelle<br />
bzw. intersubjektive Transversalität, setzt die intraindividuelle Transversalität,<br />
den intraindividuellen Übergang voraus98, den Übergang zum<br />
Anderen in einem Selbst. 99 Mag dieses Andere Spiegelbild des nicht-eigenen<br />
Anderen sein oder mehr ein dialektisches Spiegelbild des Eigenen darstellen,<br />
so besitzt doch die Auseinandersetzung mit diesem inneren Anderen eine<br />
über die reine Symbolik hinausreichende, soziale und auch ethische Bedeutung.<br />
Diese innere Spiegelung ist dabei aber weder notwendige noch hinreichende<br />
Bedingung moralischen Handelns. Das bedeutet zum einen, dass<br />
auch ohne die gelingende innere Kontrolle moralisches Handelns möglich ist<br />
und zum anderen, dass eine gelingende innere Kontrolle, ein wirkliches<br />
„Für-sich-sein“ nicht notwendigerweise zu moralischem Handeln führen<br />
muss. Hier wird jedoch die These vertreten, dass gelingendem „Für-sichsein“<br />
konstitutive Bedeutung in Bezug auf moralisches Handeln zukommt. 100<br />
Diese Bedeutung wächst dem „Für-sich-sein“ direkt und in ihrer Rückkoppelung<br />
zu:<br />
� Einerseits generiert die „Selbstbeherrschung“ die Selbst-Akzeptanz bzw.<br />
Selbstachtung, die Annahme des eigenen Selbst, aus der heraus die An-<br />
98 Auf die intraindividuelle Transversalität nach Welsch (1996: 829ff.) wurde bereits<br />
eingegangen. Vgl. hierzu Abschn. 9.2.3.<br />
99 Dieser Ausdruck lehnt sich an Ricoeur, P. (1996): Das Selbst als ein Anderer, München,<br />
an. Ricoeur bezeichnet eine „ethische Ausrichtung“ als eine „Ausrichtung auf das<br />
„gute Leben“ mit Anderen (autrui) und für sie in gerechten Institutionen“ (Ricoeur 1996:<br />
210; Hervorhebungen im Original). Diese Definition kann als konsequente Fortführung<br />
einer Vernunft des Übergangs (Welsch) gewertet werden; sie schreibt die<br />
Einsicht in die Notwendigkeit des Übergangs auf der intersubjektiven Ebene normativ<br />
fort.<br />
100 Die folgende Beherrschung des Selbst bedeutet in dem Sinne keine zusätzliche Kontrolle,<br />
sondern eine zusätzliche Befreiung, die den Einzelnen befreit von äußerem<br />
Zwang. Im Kontext der Ökonomie ist dies der ökonomische Sachzwang. In Anlehnung<br />
an Marcuse beschreibt Habermas zweckrationales Handeln „seiner <strong>St</strong>ruktur<br />
nach als Ausübung von Kontrolle“ (Habermas, J. (1970): Technik und Wissenschaft<br />
als ‚Ideologie‘, 4. Aufl., Frankfurt, S. 49ff.). Die Technik als Medium der Zweckrationalität<br />
steht bei Marcuse im Mittelpunkt des Beherrschungsverhältnisses: „Nicht erst<br />
die Verwendung, sondern schon die Technik ist Herrschaft (über die Natur und über<br />
den Menschen), methodische, wissenschaftliche, berechnete und berechnende Herrschaft.<br />
Bestimmte Zwecke und Interessen der Herrschaft sind nicht erst ‚nachträglich‘<br />
und von außen der Technik oktroyiert – sie gehen schon in die Konstruktion des<br />
technischen Apparates selbst ein; die Technik ist jeweils ein geschichtlich-gesellschaftliches<br />
Projekt; in ihr ist projektiert, was eine Gesellschaft und die sie beherrschenden<br />
Interessen mit den Menschen und den Dingen zu machen gedenken.“ (Marcuse,<br />
H. (1965): Industrialisierung und Kapitalismus im Werk Max Webers, in: Kultur<br />
und Gesellschaft II, Frankfurt, S. 46).<br />
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