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TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen

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Kant bezeichnet Einheit als subjektives Bedürfnis, nicht als objektives Faktum.<br />

Zwar stellt Kant als Subjekt nicht das Individuum vor, sondern es ist<br />

die Vernunft selbst, welche die Einheit anstrebt. In der „Methodenlehre“ der<br />

Kritik der reinen Vernunft entwickelt Kant eine Symbiose aus Architektonik<br />

und Vernunft, aus System und Vernunft, wodurch jegliche Vernunftannäherung<br />

einem Einordnungsschritt in die (Einheits-)Architektur gleichkommt.<br />

Jedoch, und dies ist aus Perspektive der Welsch’schen Konzeption besonders<br />

interessant, sind auch bei Kant Anzeichen dafür zu finden, dass zum einen<br />

das Interesse der Vernunft nach Einheit selbst wiederum der Reflexion durch<br />

die Vernunft unterliegt und zum anderen daraus folgend, dass die prinzipielle<br />

Möglichkeit einer Integration von Vielheit in eine Vernunftskonzeption<br />

damit nicht ausgeschlossen werden kann. So würde eine Vernunftentwicklung<br />

um ihrer selbst Willen das Telos von Vernunft, die Wahrheit, konterkarieren.<br />

Das Vernunftinteresse „Einheit“ ist somit durch die letztliche Reflexion<br />

am Gedanken der Wahrheit, der authentischen Wahrnehmung von<br />

Realem, relativiert und kann situativ der Vernunft selbst und ihrem Telos<br />

untergeordnet werden.<br />

Diese Relativierung des Interesses der Vernunft ergibt sich stringent, insbesondere<br />

in postmoderner Auffassung, aus der „Maxime der Selbsterhaltung<br />

der Vernunft“ 125. Die Befolgung dieser Maxime soll eine Selbstzerstörung<br />

durch den Selbstzweck unmöglich machen. Es ist der Zielpunkt der Vernunft<br />

in der Wahrheit wohl absolut, jedoch die Vernunft selbst als Weg zur Erfassung<br />

nur „relativ absolut“, nämlich in dem Grade, in dem eine Annäherung<br />

an die Wahrheit gelingt. Dieses jedoch kann nicht zweifelsfrei festgestellt<br />

werden. Welsch hilft sich mit der terminologischen und damit auch semantischen<br />

Differenzierung eines „Ausgriffs aufs Ganze“ statt eines „Zugriffs“. 126<br />

In dieser Unterscheidung nämlich wird dem Paradoxon Rechnung getragen -<br />

und dies berührt den methodisch kritischen Kern der Totalitätsdebatte -,<br />

welches zwischen zwei Unmöglichkeiten generiert wird, nämlich<br />

126<br />

„(...) zwischen der logischen Unmöglichkeit einer Einschränkung des Ganzheitsanspruchs<br />

und der faktischen Unmöglichkeit eines Zugriffs aufs Ganze.<br />

Diesem Dilemma ist nur zu entkommen, wenn es eine Weise des Ausgriffs<br />

aufs Ganze gibt, die nicht von der Art eines Zugriffs ist. (...) Daher gehört zu<br />

Vernunft stets die Doppelfigur von Ausgriff aufs Ganze und Wissen darum,<br />

125 Kant, „Was heißt: sich im Denken orientieren?“, A 329, zitiert nach Welsch (1996: 653);<br />

Hervorhebungen im Original.<br />

126 Welsch (1996: 662).

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