TRANSVERSALE WIRTSCHAFTSETHIK - Universität St.Gallen
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Arbeitswelt in die Lebenswelt hinein. Nicht nur der Vorgesetzte, der den<br />
Arbeitsdruck in die Urlaubszeit hineinträgt und während des Urlaubs anruft<br />
bzw. aus dem Urlaub den Mitarbeiter abruft, die Zeiten vor oder nach der<br />
Arbeit mit Anrufen penetriert, verdeutlicht in seinem Verhalten und den<br />
daraus entstehenden Folgen für seine Mitarbeiter die „Kehrseite“ der multiplen<br />
Ermöglichung; auch in der Privatsphäre eines jeden Einzelnen werden<br />
diese Grenzüberschreitungen deutlich, wenn Freunde und Bekannte jede<br />
halbe <strong>St</strong>unde „sinnvoll“ nutzen wollen und sich mit privaten Terminen<br />
zudecken. Dies kann gerade dazu führen, dass sie ihre Zeit verlieren, weil sie<br />
fragmentiert, wie sie ist, nicht mehr als solche wahrgenommen werden kann.<br />
Es fühlt sich der erreichbare Einzelne getrieben und wird das Gefühl nicht<br />
los, dass ihm die Zeit davonrennt. 119<br />
Es steht außer Frage, dass der Mensch auf Sozialität angewiesen ist, diese<br />
sich hauptsächlich in der Kommunikation verwirklicht und diese wiederum<br />
in der heutigen Arbeitsgesellschaft zum großen Teil Telekommunikation<br />
bedeutet. Aus der Perspektive des Bedürfnisses nach Sozialität aber wirkt die<br />
wirtschaftliche Nutzung dieser Technologie als latente Zweckentfremdung<br />
und Vereinnahmung des Einzelnen. Diese zusätzliche Nutzung, sei es<br />
kommerziell oder informationell, ist nicht per se zu kritisieren. Ab dem Zeitpunkt<br />
jedoch, wo erkannt wird, dass sich die versachlichten Zusammenhänge<br />
auf Kosten sozialer Zusammenhänge ausbreiten und diese nicht komplementieren,<br />
also sich in den Dienst des Menschen stellen, ist bei fehlender<br />
Sensibilisierung und ausbleibender Kompensation mit nicht befriedigten<br />
sozialen Bedürfnissen zu rechnen. Dabei ist dieser Befund nicht nur auf die<br />
direkte Konkurrenzsituation in den Ressourcen Zeit und Raum zu beschränken,<br />
sondern besteht vor allem auch dort, wo diese Konkurrenzsituation<br />
nicht bewusst empfunden bzw. zum Gutteil auch akzeptiert wird, wie es -<br />
wie bereits angedeutet - im Arbeitskontext der Fall ist. 120<br />
Voß trägt diesen Formen der Überlagerung von „Arbeit und Leben“ in der<br />
zweiten Spalte seiner Tabelle Rechnung und beschreibt skizzierend die Kon-<br />
119 Es mag zutreffen, dass es letztlich doch immer im Ermessen des Handybesitzers liegt,<br />
gegebenenfalls die Situation vor Anrufen und Unterbrechungen zu schützen, indem<br />
er selbiges ausschaltet. Der soziale Druck jedoch, der auf denjenigen ausgeübt wird,<br />
der diese potentielle Erreichbarkeit unterbindet - sei es durch Anrufannahmeverweigerung<br />
oder Nicht-Besitz -, wird gestützt vom Fortschrittsglauben der Gesellschaft.<br />
Überhaupt kein Telefon zu besitzen, scheint in heutiger Zeit undenkbar. Bei Mobiltelefonen<br />
ist es bereits ähnlich. Fortschritt verpflichtet - auch zur Erreichbarkeit.<br />
120 Vgl. hierzu Abschn. 2.2.<br />
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