Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />
stabilisiert. Intakte Familienverhältnisse und ein<br />
angemessenes, d. h. weder permissives noch zu rigides<br />
Erziehungsverhalten der Eltern gehört zu den<br />
wirksamsten Schutzfaktoren gegen das Entstehen<br />
süchtiger Dispositionen.<br />
Der in der Regel erfolgreiche Umgang der Familie mit<br />
ihren behinderten Kindern ist ein Beispiel für die<br />
Leistungsfähigkeit von Familien, vor allem der Mütter,<br />
bei denen allerdings häufig Überforderung und<br />
Erschöpfungszustände festgestellt werden. Behinderungen<br />
in einer Familie stellen zwar eine Belastung<br />
dar, stärken aber häufig auch den familialen Zusammenhalt<br />
und machen die Familien krisenfester. Nicht<br />
nur aus Gründen der Förderung oder Rehabilitation,<br />
sondern auch aus Gründen der Entlastung der Familie<br />
sind öffentliche Hilfen hier von großer Bedeutung. Die<br />
Realisierung der vielfach zweckmäßigen integrativen<br />
Einrichtungen, die ein Zusammenaufwachsen von<br />
behinderten und nicht behinderten Kindern ermöglichen,<br />
scheitert häufig an noch immer ungeklärten<br />
Finanzierungsfragen. In den neuen Bundesländern<br />
muß infolge des Abbaus der bisherigen Kinderkrippen<br />
und des Fehlens von Einrichtungen zur Förderung<br />
geistig behinderter Kinder damit gerechnet werden,<br />
daß heute ein erheblicher Teil der Kleinkinder mit<br />
Entwicklungsrisiken nicht rechzeitig behandelt werden.<br />
Das Gesundheitswesen in der Bundesrepublik berücksichtigt<br />
die Familie im Rahmen der Mitversicherung<br />
nichterwerbstätiger Familienmitglieder in der<br />
gesetzlicher Krankenversicherung. Die medizinische<br />
Versorgung ist jedoch überwiegend individuumzentriert<br />
und berücksichtigt die Familie weder als pathogenen<br />
noch als therapeutischen Faktor. Isolierte Formen<br />
der gesundheitlichen Aufklärung und Gesundheitserziehung<br />
haben jedoch — insbesondere bei<br />
Jugendlichen — wenig Aussicht auf Erfolg. Ihre<br />
Inhalte müssen Bestandteil der alltäglichen Kommunikation<br />
werden, sei es durch Integration in die<br />
Bildungsinhalte der Schule, sei es durch Kommunikation<br />
innerhalb der Familie. Die Vernachlässigung der<br />
alltäglichen Lebenszusammenhänge ist teils durch<br />
die klinische Perspektive, teils aber auch durch den<br />
Krankheitsbegriff des Sozialgesetzbuches mit bedingt.<br />
Alle Arten wirksamer Familienförderung stärken<br />
i.d.R. die gesundheitsförderlichen Eigenschaften<br />
des Familienhaushalts. Besondere Bedeutung kommt<br />
in diesem Zusammenhang den Wohnverhältnissen<br />
sowie den Sach- und Dienstleistungen zu, insbesondere<br />
einem ortsnahen System medizinischer Versorgung<br />
und der Familienpflege. Effektive Einrichtungen<br />
der Gesundheitsberatung bzw. hierauf spezialisierte<br />
Gesundheitsberufe fehlen in der Bundesrepublik<br />
weitgehend. Eine besondere Versorgungslücke<br />
klafft im Jugendalter, für das es an einer spezialisierten<br />
ärztlichen Betreuung mangelt.<br />
8. Familie und Bildung<br />
(Seite 200-245; 312-318)<br />
Bildung gehört neben Gesundheit und Umwelt zu den<br />
wichtigen Bereichen menschlicher Daseinsvorsorge.<br />
Die strukturelle Rücksichtslosigkeit des Bildungssy<br />
stems gegenüber den Familien läßt sich in allen<br />
Phasen des Familienzyklus beobachten. Sie äußert<br />
sich ebenfalls in der unzulänglichen Aus- und Weiterbildung<br />
familienbezogener Dienstleistungsberufe<br />
und in der mangelnden Anerkennung der durch<br />
Familienarbeit erworbenen Kompetenzen.<br />
Die sich ständig verlängernden Bildungszeiten führen<br />
angesichts der anhaltenden Bildungsexpansion für<br />
steigende Anteile junger Frauen und Männer zu<br />
Problemen der Vereinbarkeit von Ausbildung,<br />
Erwerbstätigkeit und Weiterbildung einerseits und<br />
Partnerschaft und Familie andererseits. Immer häufiger<br />
heiraten sie deshalb erst in einem höheren Alter.<br />
Sie entscheiden sich für bewußte Kinderlosigkeit oder<br />
schieben den Kinderwunsch so lange auf, daß immer<br />
mehr Paare ungewollt dauerhaft kinderlos bleiben. Im -<br />
Falle einer Schwangerschaft während der Ausbildung<br />
stehen die jungen Frauen oftmals vor der Entscheidung<br />
zwischen Ausbildungsabbruch oder Schwangerschaftsabbruch.<br />
Eltern treffen unter dem Einfluß ihres eigenen, im<br />
Laufe der Zeit gestiegenen Bildungsstandes Entscheidungen<br />
über die Bildungswege ihrer Kinder weiterhin<br />
zugunsten höherer Bildungslaufbahnen und wünschen<br />
eine qualifizierte Berufsausbildung für ihre<br />
Kinder. Bildungschancen der Kinder werden nachhaltig<br />
durch die familialen Lebenslagen und angesichts<br />
großer regionaler Unterschiede des Bildungssystems<br />
durch die lebensräumliche Zugehörigkeit der Familien<br />
beeinflußt. Die Welt der Familien und die Welt der<br />
Schule klaffen auseinander; für viele Kinder ist<br />
der täglich abverlangte, oft schwer zu koordinierende<br />
Wechsel zwischen mehreren Lebensbereichen<br />
schwer zu verarbeiten.<br />
Nach wie vor ist die Berufsorientierung der Mädchen<br />
und Jungen stark ausgeprägt, wobei die Orientierung<br />
am Umgang mit Menschen und am Dasein für Menschen<br />
allerdings weiter zurückgeht. Die Befähigung<br />
zum Dienen ist jedoch eine Schlüsselqualifikation für<br />
beide Geschlechter und in allen Berufen und Branchen.<br />
Sie ist von entscheidender Bedeutung, um nicht<br />
nur die im Dienstleistungssektor liegenden Arbeitsmarktchancen<br />
zu realisieren, sondern auch um den<br />
Leistungen, die der Pflege des Lebens dienen, den<br />
erforderlichen hohen Rang im Gemeinwesen zu verschaffen<br />
und partnerschaftlichen Lebensmodellen in<br />
der Gesellschaft zum weitreichenden Durchbruch zu<br />
verhelfen.<br />
Den durch Familienarbeit gewonnenen Kompetenzen<br />
in Fach- und Schlüsselqualifikationen wird immer<br />
noch die erforderliche Anerkennung versagt. Gleichwohl<br />
können sie für eine Reihe von Berufen durch<br />
Aus- und Weiterbildung erschlossen und ausgeformt<br />
und so in einen beruflichen Verwertungszusammenhang<br />
eingeordnet werden.<br />
Das Bildungswesen betont durch seine Bildungsinhalte<br />
einseitig jene Qualifikationen, die in der<br />
Erwerbsarbeit einsetzbar sind, ohne daß dies durch<br />
das Zeitmuster des menschlichen Lebens und die<br />
Lebensweisen wie auch durch die Berufsarbeit selbst<br />
so gerechtfertigt ist. Eine Bildung, die sich als fachliche<br />
Berufsqualifikation im engeren Sinn versteht,<br />
kann das Ziel, den einzelnen zur ständigen Neuorien-