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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />

so daß eine Mehrfachabhängigkeit besteht."<br />

(Jahrbuch Sucht 1992, S. 95f.)<br />

— Eßsucht (Adipositas) äußert sich in periodischen<br />

oder permanenten Bedürfnissen der<br />

übermäßigen Nahrungsaufnahme; sie ist<br />

häufig mit Minderwertigkeitsgefühlen und<br />

Kontaktschwierigkeiten verbunden. „Auch<br />

bei adipösen Frauen dient das Essen dazu,<br />

ihre Gefühlswelt wie Trauer, Ärger, Langeweile,<br />

Wut usw. zu überdecken.... sie leben<br />

häufig in sozialer Isolation und seelischer<br />

Verarmung. Auch bei ihnen kann Alkoholund<br />

Medikamentenmißbrauch eine erhebliche<br />

Rolle spielen. " (Ebda. S. 96) Nach Schätzungen<br />

der Deutschen Gesellschaft für Ernährungswissenschaften<br />

und dem Gesundheitsbericht<br />

1990 sollen ca. 30 % aller Bundesbürger<br />

übergewichtig sein. Ein behandlungsbedürftiges<br />

Übergewicht (Broca-Referenzgewicht<br />

+20 %) dürften 5-10 % der<br />

-<br />

Bevölkerung erreichen.<br />

bei Männern, Medikamentenmißbrauch und<br />

Eßsucht vor allem bei Frauen auftritt, während<br />

sich hinsichtlich des illegalen Drogenkonsums<br />

je nach Stoff unterschiedliche geschlechtsspezifische<br />

Konsummuster feststellen lassen. Hinsichtlich<br />

des Alters läßt sich zeigen, daß Menschen<br />

in jüngerem Alter auf psychosoziale Belastungen<br />

„vor allem mit Nahrungsaufnahme, in<br />

mittlerem Alter mit Tabak Rauchen und in<br />

höherem Alter mit der Einnahme von Medikamenten<br />

(Schmerz- und Schlafmittel sowie Psychopharmaka)<br />

" reagieren (v. Troschke 1993,<br />

S. 170). Im übrigen gibt es aber kaum zuverlässige<br />

Daten hinsichtlich der Häufigkeit unterschiedlicher<br />

Suchtformen nach Alter, sozialer<br />

Schicht, Region usw. Besonders offensichtlich<br />

ist unser Nichtwissen hinsichtlich der Verhältnisse<br />

in den neuen Bundesländern, wo gegenwärtig<br />

mit nachhaltigen Veränderungen von<br />

Art und Häufigkeit der Suchtformen gerechnet<br />

werden muß.<br />

Ursachen<br />

der Zu<br />

nahme<br />

von Sucht<br />

krank<br />

heiten<br />

Wie dieser kurze Überblick zeigt, gibt es zahlreiche<br />

Anzeichen dafür, daß suchtähnliche Abhängigkeiten<br />

heute zunehmen, und hierfür<br />

werden vielfach gesellschaftliche Ursachen wie<br />

zunehmende Vereinsamung, zunehmender<br />

Streß, seelische Verwahrlosung von Kindern<br />

und Jugendlichen usw. verantwortlich gemacht.<br />

Dies ist allerdings eine einseitige Perspektive,<br />

welche lediglich mehr oder weniger<br />

plausible Verschlechterungen der gegenwärtigen<br />

Lebensverhältnisse ins Auge nimmt, ohne<br />

den gleichzeitig stattfindenden Verbesserungen<br />

der Lebensverhältnisse Beachtung zu<br />

schenken. Die Klagen über die Verbreitung des<br />

übermäßigen Alkoholismus z. B. gehen bis weit<br />

ins 19. Jahrhundert zurück. Auch wenn es<br />

plausibel scheint, daß mit steigendem Wohlstand<br />

die Suchtgelegenheiten sich vermehren<br />

und auch die durchschnittliche nervöse Belastung<br />

zunimmt, so ist gleichzeitig zu vermuten,<br />

daß wir heute dazu tendieren, Belastungen,<br />

welche insbesondere den unteren Sozialschichten<br />

durch extreme Armut und Unsicherheit der<br />

Beschäftigungsverhältnisse in den letzten<br />

150 Jahren zugemutet wurden, weit zu unterschätzen.<br />

Wir verfügen über keinerlei Maßstäbe,<br />

um in einem Langfristvergleich realitätsgerecht<br />

zu beurteilen, ob die Summe und Intensität<br />

der Belastungen für die Gesamtbevölkerung<br />

zu- oder abgenommen hat. Es sind auch<br />

keineswegs bei allen Formen des Konsums von<br />

abhängig machenden Mitteln Zunahmen zu<br />

registrieren. So scheint beispielsweise sich der<br />

Anteil der Raucher im letzten Jahrzehnt insgesamt<br />

verringert zu haben (Jahrbuch Sucht 1992,<br />

S. 73, 77). Insbesondere ist jedoch festzuhalten,<br />

daß es für die alten wie die neuen Bundesländer<br />

an ausreichenden epidemiologischen Untersuchungen<br />

fehlt, um die Verbreitung und die<br />

Entwicklung von Suchtabhängigkeiten angemessen<br />

beurteilen zu können. Auch über die<br />

soziale Verteilung der unterschiedlichen Suchtformen<br />

sind wir noch mangelhaft informiert.<br />

Zwar ist bekannt, daß Alkoholismus vor allem<br />

2.3 Familie und Sucht 1 )<br />

Da die vorherrschende Forschungsperspektive<br />

von den einzelnen Suchtformen ausgeht, welche<br />

im wesentlichen durch die Abhängigkeit<br />

von bestimmten Stoffen oder durch auffällige<br />

Verhaltensweisen charakterisiert sind, treten<br />

die Ursachen des Süchtigwerdens in den Hintergrund<br />

des Interesses. Es wird jedoch heute<br />

allgemein angenommen, daß eine angemessene<br />

Erklärung des Suchtverhaltens sowohl<br />

Persönlichkeitszüge als auch Umweltfaktoren<br />

und den Typus der Abhängigkeit berücksichtigen<br />

muß. Suchtverhalten ist stets multifaktoriell<br />

bedingt, es gibt keine einfachen Erklärungen.<br />

Familiale Faktoren können sowohl für die Entwicklung<br />

oder das Ausbleiben von persönlichkeitsbedingten<br />

Suchtdispositionen als auch für<br />

Lernbedingungen von süchtigem Verhalten von<br />

Bedeutung sein.<br />

Nach weithin übereinstimmenden Befunden<br />

kommen Jugendliche zuerst innerhalb ihrer<br />

Familie mit legalen psychotropen Substanzen<br />

wie Alkohol und Nikotin in Kontakt, ebenso sind<br />

die Erfahrungen mit Psychopharmaka in der<br />

Regel nicht nur von der Verschreibungstätigkeit<br />

des Arztes, sondern auch vom Verhalten der<br />

Eltern mit abhängig. Je stärker der Konsum<br />

derartiger Stoffe in der Familie zu den Selbstverständlichkeiten<br />

gehört, desto wahrscheinlicher<br />

ist es, daß Jugendliche in der Folge ausgesprochene<br />

Konsumgewohnheiten entwickeln.<br />

Der Konsum legaler Drogen ist regelmäßig die<br />

Voraussetzung für den Kontakt zu illegalen<br />

Drogen, aber • nur ein kleiner Bruchteil der<br />

Konsumenten legaler Drogen wendet sich später<br />

auch illegalen Drogen zu.<br />

17) Überblicke über den Forschungsstand geben: Uchtenhagen<br />

1982, v. Villiez u. Reichelt-Nauscef 1986;<br />

Haavio-Mannila u. Holmila 1989; Textor 1989; Thomasius<br />

1991.<br />

Die Familie<br />

als<br />

Soziali<br />

sations<br />

faktor

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