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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />

Verlust<br />

der Ar<br />

beitsplätze<br />

für Behin<br />

derte in<br />

den neuen<br />

Ländern<br />

werden. Dies dürfte nicht nur zu einer Beeinträchtigung<br />

der Lebensqualität der Kinder und<br />

ihrer Familien, sondern auch zu erheblichen<br />

Folgekosten im späteren Lebensalter führen.<br />

Hinzu kommt, daß die Situation für die ,bildungs-'<br />

bzw. ,förderungsunfähigen' Kinder und<br />

Jugendlichen schon zu DDR-Zeiten trotz des<br />

intensiven Engagements einzelner vielfach minimale<br />

Standards der Menschenwürde unterschritt;<br />

es steht zu befürchten, daß sich deren<br />

Schicksal durch die Schwierigkeiten der Umstellungsphase<br />

und infolge der harten Konkurrenz<br />

um knappe Mittel heute noch verschlechtert.<br />

Die weitgehende Entlastung der Eltern wurde<br />

mit einer ebenso weitgehenden Ausgrenzung<br />

der Behinderten vom normalen Leben ,bezahlt'.<br />

Wenn nunmehr die Verantwortung auf die<br />

Eltern zurückverlagert werden soll, so bedeutet<br />

dies aus der Sicht der Eltern eine ganz andere<br />

Zumutung als für die Eltern im Westen. Es wird<br />

sich zeigen müssen, inwieweit es gelingt, das<br />

hierfür erforderliche Engagement und die normativen<br />

und kognitiven Voraussetzungen dafür<br />

zu schaffen, daß die enorme Belastung innerhalb<br />

des Familiensystems auch angemessen<br />

verarbeitet werden kann. Auf jeden Fall scheint<br />

in den neuen Bundesländern die Beratung und<br />

Unterstützung der Eltern, also die familienbezogene<br />

Hilfe, noch weit dringlicher als in den alten<br />

Bundesländern.<br />

Ein weiteres kommt hinzu: Familien mit behinderten<br />

Kindern sind im besonderen Maße von<br />

Arbeitslosigkeit betroffen. Zur Verunsicherung<br />

durch die allgemeine Übergangssituation treten<br />

die spezifischen Verunsicherungen einer Umstrukturierung<br />

der Erwartungen hin zu größerer<br />

Eigenverantwortung mit der Zumutung besonderer<br />

Belastungen. Die Verschlechterungen im<br />

Kinderbetreuungssystem stellen die Alltagsorganisation<br />

der Familie vor neue Probleme. Der<br />

angestrebte Abbau des verhältnismäßig hohen<br />

Anteils an Pflegefällen in ostdeutschen Krankenhäusern<br />

wird auch zu Lasten der Familienpflege<br />

gehen, und dies betrifft auch die Familien<br />

(schwerst-)behinderter Kinder. Zusätzlich lassen<br />

sich z. Zt. aufgrund von Anerkennungsproblemen<br />

tiefgreifende Verunsicherungen im<br />

Bereich der Pflege- und Rehabilitationsberufe<br />

feststellen, was die Situation im Krankenhauswesen<br />

noch weiter erschwert.<br />

3.5 Erwachsene Behinderte im<br />

Familienverband<br />

Ein besonderes Problem in den neuen Bundesländern<br />

dürfte der durch die wirtschaftliche<br />

Umstrukturierung bestimmte Verlust an Arbeitsplätzen<br />

für Behinderte sein. Wie erwähnt,<br />

kannte die DDR ein Recht auf Arbeit, das<br />

insbesondere auch Menschen mit eingeschränkter<br />

Leistungsfähigkeit zugute kam. Unter<br />

dem Diktat der Rationalisierung und Produktivitätssteigerung<br />

müssen sie als erste mit dem<br />

-<br />

Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen. Darüber<br />

hinaus steht zu befürchten, daß die zunehmende<br />

Konkurrenz auch Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

in beschützenden Werkstätten beeinträchtigt<br />

und so einen Teil der schwerer behinderten,<br />

jedoch arbeitsfähigen Personen freisetzt.<br />

Da nicht damit gerechnet werden kann,<br />

daß andere öffentliche oder freigemeinnützige<br />

Einrichtungen diesen Personenkreis auffangen,<br />

kommt auch hier eine neue Sorge auf deren<br />

Angehörige zu.<br />

Besondere Probleme stellen sich für Familien<br />

mit heranwachsenden Behinderten auch in den<br />

alten Bundesländern. Schon im Falle gesunder<br />

Jugendlicher ist der Übergang vom Kind zum<br />

Erwachsenen für Eltern und Kinder ein problembelasteter,<br />

konfliktreicher Prozeß, wobei<br />

die Ablösung der Jugendlichen von ihrem<br />

Elternhaus und die Erreichung einer neuen,<br />

unabhängigeren Beziehung als für die Persönlichkeitsentwicklung<br />

junger Menschen sehr<br />

wichtig beurteilt wird. Grundsätzlich gilt diese<br />

Erwartung auch für behinderte Jugendliche,<br />

doch stellen sich ihrer Realisierung besondere<br />

Schwierigkeiten in den Weg. Zum einen bedürfen<br />

behinderte Jugendliche tatsächlich vielfach<br />

eines besonderen Schutzes, um sie vor Mißbrauch<br />

und Übervorteilung zu bewahren. Zum<br />

zweiten dürfte das gesteigerte Verantwortungsbewußtsein<br />

der Eltern gegenüber ihren behinderten<br />

Kindern einer Ablösung nicht förderlich<br />

sein. Zum dritten fehlt es weitgehend an Wohnund<br />

Arbeitsmöglichkeiten, welche schwerer<br />

behinderten Jugendlichen ein unabhängiges<br />

Leben erst ermöglichen würden. All diese Faktoren<br />

tragen dazu bei, daß schwer geistig oder<br />

körperbehinderte Menschen häufig auch im<br />

Erwachsenenalter bei ihren Eltern bleiben. Die<br />

fehlende Ablösung erwachsener Behinderter<br />

führt zu einer „permanenten Elternschaft" und<br />

„chronischen Sorge" der Eltern um die Zukunft<br />

ihrer Kinder (Bodenbender 1981). Dabei bleibt<br />

es häufig bei einer permanenten sozialen Kontrolle<br />

durch die Eltern und einer Isolation der<br />

Behinderten von der außerfamilialen Öffentlichkeit.<br />

Eltern dagegen, welche versuchen,<br />

sich von ihren erwachsenen behinderten Kin<br />

dern zu trennen, müssen mit dem sozialen<br />

Vorurteil rechnen, sie wollten ihre Kinder ,abschieben'.<br />

So entsteht hier häufig eine ausweglose<br />

Situation, die nur durch konkrete Angebote<br />

beschützender Wohn- und Arbeitsverhältnisse<br />

sowie eine entsprechende Beratung der Eltern<br />

verbessert werden könnte 22).<br />

Eine neuartige Situation entsteht demnächst<br />

durch den Umstand, daß nunmehr Generationen,<br />

welche unter den günstigeren Förderbedingungen<br />

der letzten zwei Jahrzehnte herangewachsen<br />

sind, das Schulsystem verlassen und<br />

vermutlich nicht nur besser entwickelte Kompetenzen,<br />

sondern auch stärkere Autonomieansprüche<br />

mitbringen. Dies stellt eine noch grö-<br />

22) Vgl. Guski/Langloz-Brunner 1991, Schatz 1987,<br />

Thimm u. a. 1985.<br />

„Permanente<br />

Elternschaft"

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