Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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Ge<br />
schlechts<br />
spezifi<br />
sche Effekte<br />
des<br />
Moderni<br />
sierungs<br />
prozesses<br />
Drucksache 12/7560<br />
Menschen familiale Leistungen erbringen oder<br />
nicht (Kaufmann 1990, S. 136ff.). Die fehlende<br />
Anerkennung liegt primär in den institutionalisierten<br />
Regeln, denen die verschiedenen Gesellschaftsbereiche<br />
folgen. Es sind die gesellschaftlichen<br />
Strukturen, welche primär die<br />
Benachteiligung der Familien bedingen. Es<br />
handelt sich primär um einen Konstruktionsfehler<br />
unserer gesellschaftlichen Verhältnisse,<br />
nicht um eine psychologische Disposition der<br />
Beteiligten. Diesem Sachverhalt soll der Begriff<br />
strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Familien<br />
Ausdruck geben. Elternschaft gilt als<br />
„Privatsache", Eltern werden daher im Regelfall<br />
„wie jedermann" behandelt. Diese Privatisierung<br />
der Elternverantwortung bringt jedoch den<br />
Kinderlosen im Regelfall Konkurrenzvorteile,<br />
und vor allem bedeutet die Übernahme von<br />
Elternverantwortung zunehmend Verzicht auf<br />
andere Möglichkeiten des Lebens. Nicht nur die<br />
direkten, auch die Opportunitätskosten des Kinderhabens<br />
steigen. Es kann daher nicht überraschen,<br />
daß der Anteil derjenigen, die — häufig<br />
mit Bedauern — auf Kinder verzichten, zunimmt.<br />
Diese Verhältnisse treffen allerdings nicht beide<br />
Geschlechter gleichermaßen. Die Transformation<br />
der Produktionverhältnisse im Zuge der<br />
Industrialisierung hatte dazu geführt, daß die im<br />
Rahmen traditionaler Wirtschaftsformen typischerweise<br />
männlichen Arbeiten in weit stärkerem<br />
Maße vermarktet und damit zur außerhäuslichen<br />
Erwerbstätigkeit wurden als die typisch<br />
weiblichen Tätigkeiten. Der Prozeß der Modernisierung<br />
erfaßte zunächst im wesentlichen nur<br />
die Lebensverhältnisse der Männer, deren<br />
Tätigkeitsfeld sich aus dem Hausverband in die<br />
entstehende öffentliche Sphäre verlagerte,<br />
während die Privatsphäre, insbesondere Haushalt<br />
und Familie, zur anerkannten Domäne der<br />
Frau wurden. Diese geschlechtstypische Polarisierung<br />
sozialer Rollen, wie sie sich zuerst in den<br />
bürgerlichen Haushalten entwickelte, hat sich<br />
im Leitbild der Hausfrauenehe des Bürgerlichen<br />
Gesetzbuches von 1896 niedergeschlagen, an<br />
dem sich die Wirtschafts- und Sozialordnung<br />
nicht nur des Deutschen Reiches, sondern auch<br />
der alten Bundesrepublik in den 50er und 60er<br />
Jahren orientiert hat. Zwar hatte schon die<br />
Weimarer Reichsverfassung (Artikel 119 I) die<br />
Ehe als „auf der Gleichberechtigung der beiden<br />
Geschlechter" beruhend bestimmt und damit<br />
die im BGB festgeschriebene rechtliche und<br />
praktische Abhängigkeit der Hausfrau von<br />
ihrem Ehemann programmatisch negiert, aber<br />
erst seit den 70er Jahren hat der Gesetzgeber<br />
der Bundesrepublik — und nicht selten erst<br />
unter dem Druck des Bundesverfassungsgerichts<br />
— mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung<br />
allmählich ernst gemacht (vgl. Kapitel<br />
V). Mit der zunehmenden Einbeziehung der<br />
Frauen in das weiterführende Bildungswesen<br />
und der wachsenden Nachfrage der Wirtschaft<br />
nach qualifizierten weiblichen Arbeitskräften<br />
haben sich die Machtbalancen zwischen den<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />
Geschlechtern zugunsten der Frauen verändert,<br />
welche ihre gleichen Rechte nun zunehmend<br />
auch als faktisch gleiche Entscheidungsmöglichkeiten<br />
und Handlungschancen einfordern.<br />
Dem stehen jedoch die Regeln der traditionellen<br />
innerfamilialen Arbeitsteilung entgegen, welche<br />
die dominierende Familienaufgabe der alltäglichen<br />
Haushaltführung und Kindererziehung,<br />
aber auch die Pflege kranker Familienangehöriger<br />
und überhaupt die familialen Hilfeleistungen<br />
auch über Haushaltgrenzen hinweg<br />
im wesentlichen als eine weibliche Aufgabe<br />
— der Ehefrauen, Großmütter, Töchter, Schwestern<br />
usw. — definieren. Die wachsende<br />
Zurückhaltung jüngerer Frauen gegenüber der<br />
Eheschließung und die Wahl freierer Formen<br />
des Zusammenlebens scheinen nicht zuletzt<br />
damit zusammenzuhängen, daß sie auf diese<br />
Weise eher den „traditionellen Rollenzwängen"<br />
glauben entkommen zu können.<br />
Das Leitbild einer von grundsätzlich gemeinsamer<br />
Erfüllung der familialen Aufgaben getragenen<br />
Ehe, das in den letzten Jahrzehnten zunehmend<br />
an Wertschätzung gewinnt, läßt sich<br />
jedoch nicht nur wegen seiner mangelnden<br />
Einübung in den Herkunftsfamilien und der<br />
vielfach wirksamen männlichen Bequemlichkeit,<br />
aber auch der weiblichen Genauigkeit,<br />
sondern vor allem auch wegen der Ausgestaltung<br />
unserer Arbeits- und Sozialverhältnisse<br />
nur schwer in die Wirklichkeit umsetzen. Wie<br />
nicht zuletzt die Entwicklung des Arbeitsmarktes<br />
in den neuen Bundesländern zeigt, sind<br />
die Arbeitsmarktchancen der Männer nach wie<br />
vor deutlich günstiger als diejenigen der<br />
Frauen. Den Männern wird eher zugetraut, daß<br />
sie bereit sind, sich in einseitiger Weise den<br />
Produktivitätsansprüchen der Wirtschaft einund<br />
unterzuordnen, als den Frauen, deren familiale<br />
Verpflichtungen sozusagen in Rechnung<br />
gestellt, aber nicht honoriert werden. Es liegt<br />
aber nicht nur an der Nachfrage der Arbeitgeber,<br />
sondern auch am Verhalten der Gewerkschaften,<br />
welche nach wie vor primär die Interessen<br />
ihrer stärker organisierten männlichen<br />
Mitglieder vertreten und den vor allem im<br />
Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familienund<br />
Erwerbstätigkeit wichtigen Flexibilisierungsvorschlägen<br />
(vgl. Kapitel XI.2) skeptisch<br />
gegenüberstehen. Die beiden zentralen Lebenssphären<br />
— Arbeit und Familie — sind auf<br />
diese Weise nach wie vor unkoordiniert, die<br />
Präferenzen der Arbeitswelt schlagen auf die<br />
familiale Rollenteilung durch.<br />
Es kann jedoch nach Auffassung der Kommission<br />
nicht damit gerechnet werden, daß die<br />
Frauen in Zukunft die einseitige Belastung mit<br />
den familialen Aufgaben und die damit verbundenen<br />
Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt<br />
noch als normalen biographischen Entwurf<br />
akzeptieren werden. Eine dauerhafte<br />
Restabilisierung der familialen Verhältnisse<br />
wird sich nur auf der Basis einer institutionell<br />
ermöglichten Vereinbarkeit von Familien- und<br />
Erwerbstätigkeit für beide Geschlechter und<br />
Leitbild<br />
der part<br />
nerschaft<br />
lichen Ehe<br />
-<br />
Vereinbarkeit<br />
von Familien-<br />
und<br />
Erwerbsarbeit<br />
für<br />
beide Geschlechter