Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />
Familien<br />
leben<br />
erschwe<br />
rende<br />
Eigen<br />
arten<br />
unserer<br />
Gesell<br />
schaft<br />
einer deutlich stärkeren Einbeziehung der Männer<br />
in die Aufgaben der privaten Lebensführung<br />
erreichen lassen. Diese Verhaltensänderung<br />
könnte wesentlich dadurch gefördert werden,<br />
daß in Zukunft der Vereinbarkeit von<br />
Familiengründung und Ausbildung stärkere<br />
Beachtung geschenkt wird. Angesichts der<br />
stark verlängerten Ausbildungsphase und der<br />
damit im Regelfalle verbundenen höheren Zeitsouveränität<br />
beider Geschlechter könnte die<br />
Förderung der Familiengründung in der Ausbildungsphase<br />
wesentlich zur Realisierung von<br />
Kinderwünschen und zu einer gleichberechtigten<br />
Beteiligung beider Partner an den Familienaufgaben<br />
beitragen (vgl. Kapitel IX.2).<br />
Die gegenwärtige Spannung zwischen Familien-<br />
und Frauenpolitik beruht im wesentlichen<br />
auf dem Umstand, daß Maßnahmen der Familienförderung<br />
von vielen Frauen als Versuch<br />
verstanden werden, die Frauen wieder stärker<br />
in die Familie einzubinden und so ihre außerfamilialen<br />
Entfaltungsmöglichkeiten zu beeinträchtigen.<br />
Dieser Einseitigkeit der weiblichen<br />
Festlegung entspricht jedoch eine ebensolche<br />
der männlichen Rolle, wodurch Männer<br />
für ihre Selbstentfaltungsmöglichkeiten ausschließlich<br />
auf den Beruf verwiesen werden.<br />
Das Leitbild einer gleichgewichtigen Selbstentfaltung<br />
in Familie und Beruf mit individuell<br />
und paarweise wählbaren unterschiedlichen<br />
Schwergewichten dürfte am ehesten den Vorstellungen<br />
junger Menschen entsprechen.<br />
Es genügt jedoch nicht, die Vereinbarkeit von<br />
Familien- und Erwerbstätigkeit für Frauen zu<br />
verbessern. Vielmehr muß anerkannt werden,<br />
daß auch die Tätigkeiten in Haushalt und<br />
Familie Arbeit, also wirtschaftliche Werte schaffende<br />
Leistungen sind. Zwar richten sich diese<br />
Leistungen primär an die Haushalts- und Familienmitglieder,<br />
sie werden nicht zu einem<br />
bezahlbaren Angebot für anonyme Nachfrager.<br />
Aber ihr wirtschaftlicher Wert zeigt sich dort, wo<br />
sie nicht mehr erbracht werden, und dafür Dritte<br />
— häufig aus Steuermitteln finanziert -- eintreten<br />
müssen.<br />
Aus makrosoziologischer Sicht sind es somit vor<br />
allem zwei strukturelle Eigenarten unserer<br />
Gesellschaft, welche heute das Familienleben<br />
erschweren: Die Benachteiligung derjenigen,<br />
die familiale Leistungen erbringen und die<br />
Einseitigkeit der Verteilung dieser Leistungen<br />
auf die Frauen. Beides zusammengenommen<br />
bedingt die Ambivalenz vieler, aber vor allem<br />
der jungen Frauen, gegenüber einem lebenslangen<br />
familialen Engagement. Diese Ambivalenz<br />
trägt erheblich zur fortschreitenden Ausbreitung<br />
von kinderarmen oder kinderlosen<br />
Lebensformen bei. Im Vergleich zu den übrigen<br />
Ländern Nord- und Westeuropas liegt Deutschland<br />
sowohl hinsichtlich des Anteils der Aufwendungen<br />
für Mutterschaft und Familie an der<br />
Gesamtheit aller Sozialausgaben als auch hinsichtlich<br />
der Gleichberechtigung zwischem<br />
Mann und Frau deutlich unter dem Durch<br />
schnitt. Ähnliches gilt für Italien. Beide Länder<br />
weisen die niedrigsten Geburtenraten in Westeuropa<br />
auf.<br />
Besonders drastisch ist der Geburtenrückgang<br />
in den neuen Bundesländern, wo sich die<br />
Geburten von 1989 bis 1992 mehr als halbiert<br />
haben. Unter den in modernen Gesellschaften<br />
gegebenen Bedingungen einer nahezu selbstverständlichen<br />
Geburtenkontrolle kann die<br />
Geburtenrate einer Bevölkerung durchaus als<br />
Indikator der Familienfreundlichkeit oder aber<br />
der erfahrenen strukturellen Rücksichtslosigkeit<br />
der gesellschaftlichen Verhältnisse gelten.<br />
Alle Überlegungen, wie familiale Zusammenhänge<br />
in unserer Gesellschaft zu fördern und zu<br />
stabilisieren seien, müssen die Tatsache der<br />
gestiegenen biographischen Wahlmöglichkeiten<br />
der jungen Menschen und den Verlust<br />
traditioneller Selbstverständlichkeiten ins Auge<br />
fassen. Familiengründungen ereignen sich<br />
heute im Regelfall als Ergebnis eines mehr oder<br />
weniger langen Prozesses zunehmender „Nestbildung".<br />
Nur wenn die Partnerschaft verläßlich,<br />
die wohnungsmäßigen Bedingungen akzeptabel,<br />
die ökonomischen Bedingungen einigermaßen<br />
gesichert und der Kinderwunsch mit<br />
anderen biographischen Perspektiven (Bildung,<br />
Berufserwartungen, Karriere) nicht allzusehr in<br />
Konflikt gerät, ist heute die Ankunft von (zusätzlichen)<br />
Kindern wahrscheinlich.<br />
3. Die Familie: ihre Aufgaben und<br />
Leistungen<br />
Es gibt weder im Alltagsverständnis noch in den<br />
Wissenschaften eine einheitliche Auffassung<br />
über das, was der Begriff „Familie" genau zu<br />
beschreiben hat. So kann „Familie" in einer<br />
sehr weiten Bedeutung die Gruppe von Menschen<br />
bezeichnen, die miteinander verwandt,<br />
verheiratet oder verschwägert sind, gleichgültig,<br />
ob sie zusammen oder getrennt leben und<br />
wirtschaften, ob die einzelnen Mitglieder noch<br />
leben oder bereits gestorben sind. „Familie"<br />
kann unabhängig von räumlicher und zeitlicher<br />
Zusammengehörigkeit als Folge von Generationen<br />
angesehen werden, die biologisch, sozial<br />
und/oder rechtlich miteinander verbunden<br />
sind. Zudem gibt es Kleingruppen ohne biologische<br />
oder rechtliche Verknüpfungen, die<br />
zusammenleben und wirtschaften und als Haushaltsgemeinschaft<br />
ihre Leistungen als familiale<br />
verstehen können, ohne im Sinne des hier<br />
gebrauchten Familienbegriffes eine „Familie"<br />
zu sein.<br />
Da es folglich zahlreiche sehr unterschiedliche<br />
Vorverständnisse von „Familie" gibt, sollte sich<br />
eine Definition von „Familie" an dem Anliegen<br />
des jeweiligen Untersuchungsauftrages orientieren.<br />
Für die <strong>Familienbericht</strong>skommission<br />
bedeutet dies, daß sie ein Verständnis von<br />
„Familie" zu vertreten hat, das einerseits den<br />
Zur Klärung<br />
des<br />
Begriffs<br />
„Familie"<br />
-