Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />
Folgen<br />
längerfri<br />
stiger Er<br />
werbs<br />
losigkeit<br />
— Allmählich verliert der Einzelne seine Fähigkeit<br />
zum geordneten Umgang mit der Zeit.<br />
Es kommt zu einer Auflösung seines Zeitgefühls.<br />
Auswirkungen<br />
auf die<br />
Familie<br />
5.3 (Erwerbs-) Arbeitslosigkeit als<br />
individuelles und familiales Schicksal<br />
Welche persönlichen Konsequenzen für den<br />
Einzelnen aus länger andauernder (Erwerbs-)<br />
Arbeitslosigkeit resultieren, darüber gibt es<br />
zahlreiche Befunde. Ein gravierendes praktisches<br />
Problem bezüglich des interpretierenden<br />
Umgangs mit diesen Urteilen verbleibt gleichwohl.<br />
In allen einschlägigen Bestandsaufnahmen<br />
über die Frage nach den Kenntnissen über<br />
die Situation in den Familien, die von Arbeitslosigkeit<br />
betroffen sind, wird nämlich unmißverständlich<br />
festgestellt, daß der konkrete Informationsstand<br />
über die Einzelschicksale äußerst<br />
unbefriedigend sei (Breuer/Schoor-Theissen/<br />
Silbereisen 1984 S. 1 ff.). Hornstein (1990,<br />
S. 295) spricht unverblümt davon, daß hier von<br />
einem „Arbeitslosen-Robinson" die Rede sei,<br />
d. h. von einem Menschen, der erwerbslos ist,<br />
über den aber völlig ohne Berücksichtigung<br />
seines sozialen Umfeldes gesprochen wird,<br />
ohne Bezugnahme insbesondere auf sein Leben<br />
in einer Familie und das daraus erwachsende<br />
gemeinsame Verarbeitungspotential in bezug<br />
auf diese Krise. Gleichwohl berichten alle Studien<br />
über durchgängig zu konstatierende Tatbestände,<br />
die bei längerfristiger Erwerbslosigkeit<br />
die Lebenslagen der Betroffenen äußerst<br />
stark belasten:<br />
— Finanzielle Einbußen fordern die Absenkung<br />
des Konsumniveaus und zwingen zum<br />
Abbau der Ersparnisse.<br />
— Die geringeren Budgets reduzieren die Kommunikationschancen<br />
und vermindern die<br />
Teilhabe an sozialen und gesellschaftlichen<br />
Aktivitäten.<br />
— Aus dem Verlust der sozialen Kontakte und<br />
der Kommunikationsstrukturen am Arbeitsplatz<br />
folgt soziale Isolation.<br />
— Selbst im Freundeskreis kommt es zu einer<br />
(quantitativ und qualitativ spürbaren) sozialen<br />
Desintegration.<br />
— Selbstzweifel und Depressionen belasten<br />
den Einzelnen und verursachen eine schleichende<br />
Identitätskrise bis hin zur Selbstmordgefährdung.<br />
— Es kommt zu einem Verlust der Arbeitsorientierung<br />
und der Arbeitsmotivation.<br />
— Das Ausmaß körperlicher Erkrankungen<br />
erhöht sich wesentlich bei Erwerbslosen.<br />
— Psychosomatische Erkrankungen häufen<br />
sich.<br />
In der Literatur wird zudem betont, daß sich in<br />
Familien mit Erwerbslosen nicht unwesentliche<br />
Negativkonsequenzen bei den Kindern und<br />
Jugendlichen zeigen. Gesprochen wird von der<br />
„Erziehungsnot" der Kinder, der Zunahme von<br />
Schwererziehbarkeit und Verwahrlosung, Verzicht<br />
auf Ausbildung, Gleichgültigkeit gegenüber<br />
der eigenen Zukunft (vgl. dazu in den<br />
Materialien zum 8. Jugendbericht Hornstein<br />
1990, 5.296f.). Wenn selbstverständlich Arbeitslosigkeit<br />
nicht als einzig verursachende<br />
Bedingung für Erziehungsmängel u. a. gelten<br />
kann, so ist sie aber sehr wohl als Stressor für<br />
familiale Beziehungen zu bezeichnen. Diese<br />
Verstärker-Wirkung kann sie gerade auch im<br />
Hinblick auf Ehescheidung besitzen, wenn eheliche<br />
Konflikte bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit<br />
auftraten.<br />
Es steht also außer Frage, daß Erwerbslosigkeit<br />
hohe Herausforderungen an die Familien stellt,<br />
die mit diesem Phänomen konfrontiert sind. In<br />
der einschlägigen Literatur wird jedoch durchgängig<br />
betont, daß „Arbeitslosigkeit ein durch<br />
und durch historisches Phänomen ist, ... was<br />
insbesondere auch die Art der Verarbeitung<br />
durch Betroffene innerhalb ihres sozialen<br />
Bezugsfeldes (angeht) " (Hornstein 1990,<br />
S. 297). Einfache Schlußfolgerungen erscheinen<br />
als unvertretbar. Der Umgang mit Erwerbslosigkeit<br />
hängt auch sehr stark von der A rt der<br />
Einstellung gegenüber sozialen Sicherungssystemen<br />
und ihrer Inanspruchnahme sowie von<br />
grundlegenden Orientierungen gegenüber den<br />
Wertmustern der Arbeitswelt ab.<br />
Moderne Studien bestätigen gleichwohl die<br />
bereits aus den dreißiger Jahren stammenden<br />
Erkenntnisse, daß Familien mit zuvor harmonischen<br />
Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern<br />
die Belastungen aus Erwerbslosigkeit besser<br />
überstehen. Rollenmuster, die auf Egalität zwischen<br />
Frau und Mann abstellen, zeigen dabei<br />
positive Konsequenzen. In solchen Belastungssituationen<br />
übernehmen innerhalb der Familienbeziehungen<br />
die Mütter zunehmend Schlüsselfunktionen.<br />
Dabei sind nicht unerhebliche<br />
Unterschiede innerhalb der gesellschaftlichen<br />
Schichten zu registrieren (siehe dazu im einzelnen<br />
Silbereisen/Walper 1989, S. 535 ff.).<br />
Insgesamt wird in der Forschung durchgängig<br />
vor übereilten und unzulässigen Verallgemeinerungen<br />
von Einzelbeobachtungen gewarnt.<br />
Über den Umgang mit Erwerbslosigkeit in den<br />
Familien konkrete Aussagen zu machen,<br />
scheint heute deutlich schwieriger geworden zu<br />
sein, als es noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit<br />
oder gar in der Weltwirtschaftskrise<br />
der Fall war.<br />
6. Das Frauenerwerbspotential: das<br />
Handlungspotential der Zukunft?<br />
Das in Abschnitt VII.3 für die moderne Familienpolitik<br />
als zentral bezeichnete Thema der<br />
Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern hat<br />
die arbeitsmarktpolitische Debatte seit langem<br />
beschäftigt. Die Diskussion zielte auf die<br />
-<br />
Bedeutung<br />
der<br />
innerfamilialen<br />
Beziehungen