Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />
Bestätigung wird in Form stellvertretender<br />
Machtdemonstration bei Schwächeren gesucht<br />
(z. B. bei Kindern oder alten Menschen), andere<br />
Menschen werden in neurotisierende Strategien<br />
zur Kompensation eigener Selbstbilddefekte<br />
eingebunden, Enttäuschung mündet in<br />
Aggression (Rothe 1993, S. 17).<br />
Streß Letztlich ist es also die Summe aus psychischen<br />
Variablen, bestimmten familienendogenen sowie<br />
-exogenen Bedingungen, chronisches Sichüberfordert-Fühlen,<br />
häufig verbunden mit<br />
überhöhten Erwartungen an Ehe und Familie —<br />
wie im folgenden Abschnitt noch ausführlicher<br />
gezeigt werden wird —, die das Gewaltrisiko im<br />
Familienbereich zeitgeschichtlich erhöht haben.<br />
Soziale<br />
Kontrolle<br />
Ehescheidungen<br />
Familiale Gewaltanwendung ist heutzutage ferner<br />
durch die erklärte Exklusivität und Privatheit<br />
der Kernfamilie, durch soziale Isolation und<br />
vielfach durch die moderne Wohnweise weniger<br />
kontrollierbar als noch vor 30 oder 40 Jahren<br />
und kann deshalb eher in exzessive Formen<br />
münden, wohingegen in früheren Zeiten Nachbarn,<br />
Mitglieder der Herkunftsfamilie und sonstige<br />
Verwandte bei tätlichen Auseinandersetzungen<br />
frühzeitiger Einhalt boten oder mögliche<br />
„psychische Verwahrlosungen" bei Kin<br />
dern auffingen.<br />
6. Die wachsende Instabilität der Ehe<br />
und ihre Auswirkungen auf die familiale<br />
Sozialisation<br />
Die Ehescheidungen in Deutschland haben<br />
nicht erst in den letzten Jahrzehnten zugenommen,<br />
sondern sie steigen seit Ende des vorigen<br />
Jahrhunderts an, seit wir zuverlässige und<br />
umfassende Familienstatistiken besitzen. Der<br />
Anstieg verlief zwar nicht kontinuierlich, sondern<br />
in Sprüngen und Schwankungen. Seit 1987<br />
ist im übrigen ein geringfügiger Rückgang der<br />
Ehescheidungsquoten zu erkennen. Doch viele<br />
Belege deuten darauf hin, daß es sich hierbei um<br />
keinen stabilen Rückgang handelt, sondern daß<br />
die Zahl der Ehescheidungen in Zukunft noch<br />
weiter ansteigen wird.<br />
Diese stetig anhaltende und immer stärker steigende<br />
Tendenz von Ehelösungen in der Bundesrepublik<br />
Deutschland ist nicht auf demographische<br />
Veränderungen, z. B. auf eine unterschiedlich<br />
quantitative Besetzung bestimmter<br />
Altersjahrgänge oder auf unterschiedlich hohe<br />
Eheschließungsquoten zurückzuführen, sondern<br />
auf ein verändertes Verhalten der Bevölkerung.<br />
Im übrigen war in der DDR der gleiche<br />
Trend in bezug auf die Ehescheidungsquoten<br />
abzulesen, nur auf einem höheren statistischen<br />
Niveau. In den neuen Bundesländern haben im<br />
letzten Jahr sprunghaft die Ehescheidungen<br />
abgenommen, was aber vermutlich überwiegend<br />
auf die veränderte Rechtslage zurückzuführen<br />
ist.<br />
Sieht man sich die Ehescheidungsquoten in<br />
bezug auf ihre regionale Verteilung in der<br />
Bundesrepublik Deutschland an, so ist ferner<br />
festzuhalten, daß die höchsten Scheidungsquoten<br />
in den Stadtstaaten Berlin, Bremen, Hamburg<br />
und ferner in den Bundesländern Saarland,<br />
Mecklenburg-Vorpommern (= 1990) und<br />
Nordrhein-Westfalen gegeben sind. Besonders<br />
gering ist die Ehescheidungsquote in Bayern<br />
und in Baden-Württemberg sowie im Jahr 1991<br />
in allen neuen Bundesländern (Paul/Sommer<br />
1993, S. 44). Die Zahl der von Scheidung betroffenen<br />
minderjährigen Kinder betrug 1991 in<br />
Deutschland etwa 99 300 (= 91 800 in den alten<br />
sowie 7 500 in den neuen Bundesländern). Ihre<br />
Zahl war rückläufig. Diese statistische Abnahme<br />
an „Scheidungswaisen" ist eng verknüpft<br />
mit dem Geburtenrückgang.<br />
Wenn also heute in der Bundesrepublik<br />
Deutschland fast jede dritte Ehe durch Scheidung<br />
endet, so bedeutet dieser Tatbestand aber<br />
auch — umgekehrt —, daß 66 % aller Ehen nicht<br />
durch Scheidung aufgelöst werden! Zu bedenken<br />
ist nämlich ebenso, daß es heutzutage trotz<br />
der gestiegenen Ehescheidungszahlen noch nie<br />
eine zeitlich derart lange gleiche Ehepartnerbeziehung<br />
für die Mehrzahl der Bevölkerung in<br />
unserem Staat gegeben hat. So waren z. B. vor<br />
hundert Jahren ein Drittel aller Ehen bereits<br />
nach zwanzig Jahren aufgelöst, heute erst nach<br />
vierzig Jahren (Mitterauer 1989). Und noch<br />
immer endet die Mehrzahl aller Ehen durch den<br />
Tod eines Partners.<br />
Die kontinuierliche statistische Zunahme der<br />
Ehescheidungsquoten, weswegen häufig von<br />
einer „Krise der Ehe und Familie" gesprochen<br />
wird, scheint bei oberflächlicher Betrachtung im<br />
Widerspruch zu den Ergebnissen soziologischer<br />
Untersuchungen zu stehen. So belegen mehrere<br />
empirische Erhebungen den hohen Spitzenwert<br />
in der Rangliste, den die Familie im Vergleich zu<br />
anderen Lebensbereichen bei allen Bevölkerungsgruppen<br />
einnimmt (gleichgültig, um welchen<br />
Berufs- und Bildungsstand es sich handelt,<br />
etwas abgeschwächter bei den unter 30jährigen).<br />
Sie zeigen weiterhin, daß diese Wertpräferenz<br />
sogar in den letzten 20 bis 30 Jahren noch<br />
gestiegen ist. Ferner ist aus vielen empirischen<br />
Erhebungen ein hoher Zufriedenheitsgrad mit<br />
der Ehe und dem Familienleben zu entnehmen.<br />
Noch positiver als die Frauen bewerten die<br />
Männer die Ehe (vgl. hierzu zusammenfassend<br />
Nave-Herz 1988b, S. 84 ff.).<br />
Diese zunächst widersprüchlich erscheinende<br />
Datenlage, nämlich die gestiegenen Scheidungsquoten<br />
und der hohe und noch gestiegene<br />
Spitzenplatz, den der Lebensbereich „Familie"<br />
in der Wertpräferenz bei Frauen und Männern<br />
innehat, ist jedoch letztlich verständlich und<br />
stützt die von René König bereits 1969 aufgestellte<br />
These, die besagt, daß die Instabilität der<br />
Ehe gerade wegen ihrer hohen subjektiven<br />
Bedeutung für den einzelnen zugenommen hat.<br />
Der Anstieg der Ehescheidungen ist also nicht<br />
Nord-Süd-<br />
Gefälle<br />
-<br />
Wert der<br />
Lebensform<br />
„Familie"<br />
Schei<br />
dungs<br />
ursachen