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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />

Probleme<br />

des Trans<br />

forma<br />

tionspro<br />

zesses<br />

5.2 Erwerbslosigkeit durch<br />

Systemtransformation: Neue Probleme<br />

der neuen Bundesländer<br />

Ganz offensichtlich kann die Situation in den<br />

neuen Bundesländern sowohl individuell als<br />

auch gesamtwirtschaftlich nur völlig anders eingeschätzt<br />

werden. Ohne Zweifel werden die<br />

von Erwerbslosigkeit betroffenen Menschen in<br />

den neuen Bundesländern diesen Tatbestand<br />

als nahezu schicksalhaft interpretieren. Die<br />

Unterbrechung von Erwerbsarbeit erscheint<br />

ihnen sicherlich als von ihnen selbst prinzipiell<br />

unbeeinflußbar. Dazu trägt die bittere Erfahrung<br />

bei, daß die vielfach erhoffte leichte Eingliederung<br />

der wirtschaftlichen Potentiale der<br />

DDR in das Wirtschaftssystem der alten Bundesrepublik<br />

nicht stattfand. Die Folge ist ein hohes<br />

Maß an Beschäftigungsausfall, was nur unzureichend<br />

durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen<br />

aufgefangen werden kann. Offensichtlich<br />

konnte der Übergang zu einem marktwirtschaftlichen<br />

System zunächst nur die Tatbestände<br />

aufdecken, die bei diesem Transformationsprozeß<br />

von Bedeutung sind:<br />

1. Es ist nicht so leicht, ein zentral gelenktes<br />

Wirtschaftssystem neu zu strukturieren, in<br />

dem die Unternehmensgrößen ebenso wie<br />

die Aktivitäten über viele Jahrzehnte durch<br />

politische Entscheidungen fixiert wurden.<br />

Die Entflechtung riesiger Kombinate bedarf<br />

großer Sorgfalt und beansprucht sehr viel<br />

längere Zeiträume, als es viele sich vorstellten.<br />

Äußerst nachteilig wirkte sich die durchgängige<br />

Zerstörung der mittelständischen<br />

Strukturen in Handwerk und Industrie in der<br />

DDR aus. Auch der im Vergleich zum Westen<br />

relativ hohe Anteil der Landwirtschaft und<br />

die Vernachlässigung des Dienstleistungssektors<br />

schlugen negativ zu Buche.<br />

2. Ebenso wenig ist es möglich, ohne längere<br />

Anpassungsfristen mit dem Tatbestand fertig<br />

zu werden, daß Arbeitskräfte nach Planvorstellungen<br />

zugewiesen wurden. Die Arbeitsplatz-<br />

und damit die Beschäftigungsstruktur<br />

war auf die Erfüllung von staatlichen Planvorgaben,<br />

die politischen Kriterien folgten,<br />

ausgerichtet. In den Behörden und Betrieben<br />

jeglicher Art befanden sich weit mehr<br />

Arbeitskräfte als zu einer reibungslosen Produktion<br />

benötigt wurden. Sie waren wegen<br />

der Unfähigkeit des Systems, technische<br />

Neuerungen aufzunehmen, zudem relativ<br />

knapp. Durchgängig horteten die Unternehmer<br />

Arbeitskräfte — nicht zuletzt, um in der<br />

Lage zu sein, die Planauflagen, die nicht<br />

immer objektiv, d. h. dem Produktionspotential<br />

entsprechend festgelegt wurden, in<br />

jedem Fall erfüllen zu können.<br />

Überall dort, wo sozialistische Volkswirtschaften<br />

existierten, gab es dieses Phänomen der<br />

verdeckten Arbeitslosigkeit. Generell meint<br />

man (Berechnungen des Ifo-Instituts), daß in der<br />

DDR diese verdeckte Arbeitslosigkeit ein Aus<br />

maß von zumindest 1,4 Millionen, das sind 15 %<br />

der Erwerbstätigen, erreichte.<br />

Inzwischen ist in allen Ländern, in denen der<br />

Transformationsprozeß greift, sichtbar geworden,<br />

welche Altlasten der sog. reale Sozialismus<br />

hinterlassen hat. Die Vermögenssubstanz ist<br />

nahezu vollständig aufgezehrt worden, ein Tatbestand,<br />

dessen Tragweite von vielen Beobachtern<br />

kaum richtig eingeschätzt worden ist. Das<br />

gilt nicht nur für das sogenannte Produktiv- oder<br />

Anlagevermögen, sondern in gleicher Weise für<br />

das Wohnungsvermögen wie auch die Vermögenskategorien<br />

der sogenannten Infrastruktur,<br />

z. B. Straßen, Brücken, öffentliche Bauten usw.<br />

Umweltlasten größten Umfangs sind ebenfalls<br />

zu konstatieren. Die Arbeitsproduktivität der<br />

DDR lag bei nur 35 bis 40 % des westdeutschen<br />

Wertes.<br />

Nicht allein die Produktionsdefizite, sondern<br />

auch Absatzprobleme belasten die Wirtschaft in<br />

den neuen Bundesländern. Die Chancen für<br />

eine Neuorganisation der Wirtschaft werden<br />

entscheidend dadurch beeinträchtigt, daß die<br />

meist bilateralen Lieferbeziehungen im Rat für<br />

gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) ebenso<br />

wie die damit verknüpften Lieferungen von<br />

Produkten und Materialien plötzlich abbrachen.<br />

Es zeigte sich, daß die kommunistische planorientierte<br />

Wirtschaftslenkung keine Export-<br />

Import-Strukturen hatte entstehen lassen, die<br />

unter Marktbedingungen aufrechtzuerhalten<br />

waren. Die Exporte der neuen Bundesländer<br />

erreichten deshalb 1992 gerade nur noch ein<br />

Drittel des letzten DDR-Niveaus. Weiterhin ist<br />

jedoch die frühere Wirtschaftsgemeinschaft Ost<br />

der wichtigste Absatzmarkt: mehr als die Hälfte<br />

des ostdeutschen Exports geht nach Mittel- und<br />

Osteuropa.<br />

Vor dem Hintergrund des für alle unmittelbar<br />

erkennbaren wirtschaftlichen Desasters breitete<br />

sich zunehmend ein allgemeiner Pessimismus<br />

und die Furcht vor hoher (und zudem<br />

dauerhafter) Arbeitslosigkeit aus.<br />

Fragt man danach, wie sich diese Veränderungen<br />

im einzelnen auf die Beschäftigten und die<br />

familiale Lage ausgewirkt haben, ist zu konstatieren,<br />

daß der Umbruch im System zudem eine<br />

politische Dimension hat, deren Spuren in der<br />

Struktur von Erwerbslosigkeit auftauchen. Dort<br />

wo Erwerbslosigkeit zu einem konstitutiven<br />

Merkmal einer bestimmten Wertungensozialen<br />

Lage wird, lassen sich 1991 zumindest folgende<br />

vier Gruppierungen ausmachen:<br />

„Erstens: die Gruppe der vorzeitig aus dem<br />

Erwerbsleben gedrängten Männer und Frauen<br />

über 55 Lebensjahre im sogenannten Altersübergang<br />

oder Vorruhestand. Es handelt sich<br />

hier um die Mehrheit der betreffenden Generationsgruppe<br />

und bereits jetzt um etwa 15 Prozent<br />

aller Erwerbsfähigen.<br />

Zweitens: ein großer Teil der bisher erwerbstä<br />

tigen Frauen, denen damit eine grundlegende<br />

Veränderung ihrer sozialen Stellung und Rolle<br />

Altlasten<br />

des Sozialismus<br />

-<br />

Erwerbslosigkeit<br />

— Gruppierungen<br />

und Wertungen

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