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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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Kaum<br />

Alter<br />

nativen zur<br />

Familie<br />

Bedeu<br />

tung lang<br />

fristiger<br />

Familien<br />

beziehun<br />

gen<br />

Drucksache 12/7560<br />

Zwar sollte die bestehende Kritik an einer<br />

möglichen finanzpolitischen Instrumentalisierung<br />

von Familien als billigstem Pflegereservoir<br />

ernst genommen werden; offensichtlich aber<br />

gibt es im Hinblick auf die Aufgabe der umfassenden<br />

alltäglichen Sorge für unterstützungsund<br />

pflegebedürftig gewordene alte Menschen<br />

kaum eine gesellschaftliche Alternative --<br />

weder vom erforderlichen Ausmaß noch von<br />

einer vergleichbaren Qualität her und trotz der<br />

Tatsache, daß es in einer familialen Pflegebeziehung<br />

viele Schwierigkeiten geben kann, die<br />

u.U. in Gewalt gegen die betreuten Angehörigen<br />

zum Ausdruck kommen (Expertise Rothe;<br />

Backes/Neumann 1991). Die bisherige Erfahrung<br />

lehrt überdies, daß sich die privat möglichen<br />

Pflegebeziehungen desto häufiger auf<br />

engste Familienbeziehungen reduzieren, je<br />

umfassender die Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit<br />

alter Menschen wird (Socialdata<br />

1980, S. 72 ff.; Dieck 1987, S. 7). Diese Beobachtung<br />

gilt allerdings nur, wenn Familienangehörige<br />

in ausreichender räumlicher Nähe leben<br />

(IES 1990, 1992a). Das reale Gewicht von Familienbeziehungen<br />

in der Sorge für unselbständig<br />

gewordene alte Menschen und in ihrer Unterstützung<br />

und Pflege steht auch in Übereinstim-mung<br />

mit dem allgemein vorhandenen Wunsch,<br />

daß die Sorge für alte Menschen so lange wie<br />

möglich von privaten und persönlichen Netzen<br />

getragen sein sollte.<br />

Ob und wie eine familiale Beziehung zwischen<br />

einem alten Menschen, der für seine körperliche<br />

Versorgung ständige Hilfe braucht, und<br />

anderen Angehörigen gelingt, hängt zu einem<br />

großen Teil davon ab, welche Vorgeschichte die<br />

Beteiligten miteinander haben. Wenn der „Pflegephase"<br />

die Geschichte einer lebendigen<br />

Beziehung vorausging, die von einem wechselseitigen<br />

Interesse aneinander und Anerkennung<br />

füreinander geprägt war, sind die Chancen<br />

groß, daß auch die schwierige Situation der<br />

Pflege relativ befriedigend gemeistert werden<br />

kann. Von guten langfristigen Familienbeziehungen<br />

läßt sich also in diesem Zusammenhang<br />

sagen, daß sie nicht nur überhaupt Wohlbefinden<br />

fördern und präventive Funktionen haben,<br />

sondern daß sie auch die Weichen hin auf eine<br />

relativ erfolgreiche Bewältigung von Problemen<br />

stellen, die mit dem Auftreten von Pflegebedürftigkeit<br />

eines alten Menschen wahrscheinlich<br />

sind.<br />

Das Wissen um die großen Leistungen von<br />

Familien für unterstützungs- und pflegebedürftig<br />

gewordene alte Angehörige sollte nun nicht<br />

dazu führen, die Möglichkeiten von Familien in<br />

diesem Zusammenhang zu überschätzen. Zwar<br />

ist anzunehmen, daß viele der Privathaushalte,<br />

in denen alte Menschen betreut werden, Haushalte<br />

mit drei und mehr Mitgliedern sind (vgl.<br />

BMFuS/Infratest 1992d, S. 5). Dennoch gibt es<br />

auch empirische Hinweise darauf, daß unter<br />

dem Gesichtspunkt von Hauptverantwortung<br />

für die Betreuung de facto oft nur eine Angehörige<br />

zuständig ist (vgl. Bender 1993, S. 4).<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />

Die Gründe für die de facto-Singularisierung<br />

der innerfamilialen Altenhilfe und -pflege bündeln<br />

sich zu einem Komplex von Faktoren. So<br />

sind es tendenziell Frauen und nicht Männer<br />

(mit Ausnahme von Ehemännern), die für das<br />

unmittelbare körperliche und seelische Wohlbefinden<br />

der regelmäßig unterstützungs- und<br />

pflegebedürftig gewordenen alten Angehörigen<br />

hauptsächlich verantwortlich sind. Dafür<br />

gibt es eine Vielzahl von empirischen Hinweisen<br />

(vgl. vor allem BMFuS/Infratest 1992b,<br />

S. 133). Allerdings ist anzunehmen, daß diese<br />

Tendenz in den neuen Bundesländern weniger<br />

ausgeprägt ist (a. a. O., S. 146). Frauen übernehmen<br />

um so mehr die Hauptverantwortung<br />

für die Hilfe und Pflege alter Angehöriger, je<br />

älter letztere sind (a. a. O., S. 133). Diese Beobachtung<br />

läßt sich kaum auf die geringere<br />

Lebenserwartung von Männern zurückführen,<br />

sondern sehr viel eher auf geschlechtsspezifische<br />

Zuschreibungen. Das Wirken solcher<br />

Zuschreibungen kann z. B. daran abgelesen<br />

werden, daß von den Familienmitgliedern, die<br />

die Hauptverantwortung für die regelmäßige<br />

-<br />

Betreuung hochbetagter Angehöriger übernehmen,<br />

weitaus mehr Töchter als Söhne (knapp<br />

43 % bzw. knapp 8 %), mehr Schwiegertöchter<br />

als Schwiegersöhne (gut 14 % bzw. 0,3 %) und<br />

auch mehr Schwiegertöchter als Söhne (14 %<br />

bzw. 8 %) sind 3).<br />

Daß es sich bei den gegenwärtigen Geschlechterverhältnissen<br />

in der Beteiligung der familialen<br />

Altenbetreuung um Ergebnisse sozialer<br />

Zuschreibungen handelt, läßt sich auch an der<br />

weiteren Beobachtung ablesen, daß die Betreuungsbeteiligung<br />

von Frauen und Männern sich<br />

mit dem Familienstand ändert. So kann aus dem<br />

Familien-Survey des DJI geschlossen werden,<br />

daß sich in der Altersgruppe der 18- bis 55jährigen<br />

ledige Männer in demselben Umfang wie<br />

ledige Frauen an der regelmäßigen Betreuung<br />

alter Haushaltsangehöriger beteiligen, daß<br />

auch der Unterschied zwischen Frauen und<br />

Männern in der Gruppe der Geschiedenen und<br />

Verwitweten noch nicht besonders ins Gewicht<br />

fällt, sehr wohl aber in der Gruppe der verheirateten<br />

Haushaltsangehörigen (vgl. Bender<br />

1993, S. 4). Zu der Tendenz der Singularisierung<br />

der innerfamilialen Altenbetreuung trägt bei,<br />

daß die familiale Pflege für alte Menschen in der<br />

Regel sehr eng als Aufgabe einer Ehe- und<br />

Kind-Eltern-Beziehung und nicht auch einer<br />

Geschwister- oder Schwiegerbeziehung (mit<br />

einer Ausnahme: der Schwiegertochter-<br />

Schwiegereltern-Beziehung) definiert wird.<br />

Und schließlich werden Familien mit zunehmendem<br />

Alter ihrer Angehörigen naturgegebenerweise<br />

immer kleiner.<br />

Wenn nur eine Person die Hauptverantwortung<br />

hat, ist sie äußerst gefordert und zum Teil<br />

überfordert. Sind aber weitere Familienmitglieder<br />

vorhanden, so kann sich auch ein inner-<br />

3 ) Diese Angaben stammen aus der vom BMFuS in<br />

Auftrag gegebenen Untersuchung „Möglichkeiten<br />

und Grenzen seltbständiger Lebensführung"; vgl.<br />

BMFuS/Infratest 1992c, S.313).<br />

Ungleiche<br />

Verteilung<br />

der Ver<br />

antwor<br />

tung für<br />

die Pflege<br />

Bedeutung<br />

des<br />

Familienstands

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