Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />
Heirats<br />
alter<br />
Heiratsgründe<br />
3. Zum Wandel des<br />
Eheschließungsverhaltens und des<br />
Familiengründungsprozesses<br />
Wie bereits in Kapitel II dargestellt, ist das<br />
Erst-Eheschließungsalter bei Frauen und Männern<br />
in der früheren Bundesrepublik Deutschland<br />
seit 1975 angestiegen, dagegen wurde in<br />
der DDR früher geheiratet (das Erstheiratsalter<br />
bei Männern und Frauen war um ca. drei Jahre<br />
niedriger) und Eheschließungen waren während<br />
der Ausbildungszeit in der DDR keine<br />
Seltenheit. Neuere Untersuchungsergebnisse<br />
über die frühere Bundesrepublik Deutschland<br />
zeigen, daß hier Frauen, die eine berufliche<br />
Ausbildung abgeschlossen haben, in den jüngeren<br />
Geburtsjahrgängen stärker eine Eheschließung<br />
aufschieben als früher, und zwar bis weit<br />
über das Ende der Ausbildung hinaus. Hier<br />
deutet sich an, daß nicht mehr in erster Linie die<br />
Bildungs- und Ausbildungsbeteiligung den<br />
Zeitpunkt der Eheschließung determinieren.<br />
Qualifizierte Frauen (im Hinblick auf den Beruf)<br />
warten heute länger bis zu einer Heirat. Sie<br />
wollen offenbar zunächst eine ihrer Ausbildung<br />
adäquate berufliche Position finden (Expertise<br />
Grundmann u. a., S. 14; hierauf wird noch ausführlich<br />
in Kapitel IX eingegangen). Dabei wird<br />
die Wahrscheinlichkeit, gar nicht zu heiraten,<br />
weiter steigen, jedenfalls wenn — wie bisher in<br />
den alten Bundesländern — für Frauen weiterhin<br />
die Regel gilt, nur einen Partner mit (zumindest:<br />
etwas) höherem Bildungs- und Berufsniveau<br />
zu wählen. In der DDR heiratete m an<br />
rigen und gleich- dagegen eher einen gleichalt<br />
qualifizierten Partner (Frick/Steinhöfel 1991,<br />
S. 288/290).<br />
Wie bei der Eheschließung ist ebenfalls in bezug<br />
auf die Familiengründung eine Korrelation zwischen<br />
dem Alter der Mutter bei Geburt ihres<br />
ersten Kindes und der Höhe ihres Ausbildungsabschlusses<br />
gegeben, und so scheint dem<br />
gestiegenen beruflichen Qualifizierungsniveau<br />
der jungen Frauen heute eine besondere<br />
Bedeutung im Hinblick auf den verzögerten<br />
Familienbildungsprozeß zuzukommen (vgl.<br />
auch Kapitel IX). Dennoch darf dieser Zusammenhang<br />
nicht im Sinne eines „Automatismus"<br />
interpretiert werden. Denn anders sah diese<br />
Situation wiederum in der DDR aus. Hier wurden<br />
Familien bereits in einem früheren Alter als<br />
in der Bundesrepublik Deutschland gegründet<br />
und fast alle Frauen (über 90 %) hatten zumindest<br />
ein Kind. Dagegen hat in den alten Bundesländern<br />
die Kinderlosigkeit unter den verheirateten<br />
und den ledigen Frauen stark zugenommen<br />
(vgl. Kapitel II).<br />
Wie Lebenslaufanalysen über die alte Bundesrepublik<br />
zeigen (vgl. Tabelle Nr. 5 der Expertise<br />
von Grundmann u. a.), fielen zu einem hohen<br />
Anteil Heirat und Geburt des ersten Kindes fast<br />
immer zusammen. Doch: demselben statistischen<br />
Tatbestand können zu unterschiedlichen<br />
Zeiten unterschiedliche Sachverhalte zugrun<br />
deliegen. So „offenbarte" Schwangerschaft vor<br />
der Eheschließung noch vor 20 oder 30 Jahren<br />
eine öffentlich nicht tole rierte sexuelle Beziehung,<br />
weswegen damals von „Muß-Ehen"<br />
gesprochen wurde. Vor allem aber bestimmten<br />
in früheren Zeiten neben Schwangerschaft noch<br />
eine Vielzahl von weiteren rationalen Gründen<br />
den Eheentschluß. Seit Ende der 70er Jahre<br />
aber ist Anlaß einer Eheschließung neben der<br />
gefühlsmäßigen Verbundenheit überwiegend<br />
allein die Schwangerschaft bzw. die Geburt<br />
eines Kindes oder der Kinderwunsch (Nave<br />
Herz 1984, S. 52; ebenso Pohl 1985). Die<br />
Eheschließungsgründe haben also in ihrer Vielfältigkeit<br />
abgenommen. Verursachend für diesen<br />
Wandel wirkten die materiellen und wohnungsmäßigen<br />
Veränderungen, die öffentliche<br />
Einstellung zur vorehelichen Sexualität, die<br />
Akzeptanz von nicht ehelichen Lebensgemeinschaften<br />
und das Rechtssystem; 1973 wurde<br />
der sog. „Kuppeleiparagraph" gestrichen. Die<br />
Eheschließung hat sich also zeitgeschichtlich<br />
insofern verändert, als sie an zwingender Notwendigkeit<br />
zur Erfüllung bestimmter elementarer<br />
Bedürfnisse oder als materielle Versorgungsinstitution<br />
(vor allem für die Frauen) an<br />
Bedeutung verloren hat.<br />
Der starke Anstieg nichtehelicher Lebensgemeinschaften<br />
seit ca. 20 Jahren ist zweifellos auf<br />
den zuletzt skizzierten Sachverhalt zurückzuführen<br />
und trug ferner zu den abnehmenden<br />
Heiratsziffern und vor allem zum Anstieg des<br />
Heiratsalters bei. Dennoch hat die quantitative<br />
Verbreitung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften<br />
nicht dazu geführt — wie viele<br />
empirische Untersuchungen belegen —, die<br />
Ehe und Familie obsolet werden zu lassen. Sie,<br />
die nichtehelichen Partnergemeinschaften, stellen<br />
nämlich keine Konkurrenzform zur Ehe und<br />
Familie dar; diese Paare sind überwiegend<br />
keine Gegner von Ehe und Familie, sondern Ehe<br />
und Familie haben für sie eine andere Qualität<br />
als ihre jetzige nichteheliche Partnergemeinschaft.<br />
Da die emotionellen sexuellen Beziehungen<br />
heute keiner öffentlich bekundeten Legitimation<br />
durch eine Eheschließung mehr bedürfen<br />
und weil die materiellen und wohnungsmäßigen<br />
Bedingungen gegenwärtig eine frühzeitigere<br />
Selbständigkeit ermöglichen, wird überwiegend<br />
heute nur im Hinblick auf das Kind die<br />
Ehe mit ihrem gegenseitigen Verpflichtungscharakter<br />
eingegangen. Ehe und Familie wurden<br />
damit überwiegend allein zur bewußten<br />
und erklärten Sozialisationsinstanz für<br />
Kinder. Die These von der „kindorientierten<br />
Ehegründung" (Nave-Herz 1984) ist inzwischen<br />
durch viele Untersuchungen bestätigt<br />
worden.<br />
Damit gibt es heute zwei — öffentlich mehr oder<br />
weniger anerkannte — Daseinsformen, denen<br />
beide zunächst die gleiche spezialisierte<br />
Leistung zugeschrieben wird: die Spezialisierung<br />
auf emotionale Bedürfnislagen (Niklas<br />
Luhmann). Sie unterscheiden sich aber im<br />
-<br />
Zunahme<br />
nicht<br />
ehelicher<br />
Lebens<br />
gemein<br />
schaften