Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Indiffe<br />
renz der<br />
Gesell<br />
schaft<br />
gegen<br />
über der<br />
Erfüllung<br />
familialer<br />
Aufgaben<br />
Drucksache 12/7560<br />
Gestaltung der Rahmenbedingungen, innerhalb<br />
deren die persönlichen Entscheidungen<br />
und Handlungen erfolgen, Familie in ihren von<br />
den Menschen erlebten und gewünschten Formen<br />
ohne Benachteiligungen für die einen und<br />
ohne unverdiente Nutzen für die anderen in<br />
persönlicher Verantwortung sowie in Geschlechter-<br />
und Generationensolidarität gelebt<br />
und gestaltet werden kann.<br />
Für eine solche Gestaltung sind die folgenden<br />
Aspekte maßgebend:<br />
Erstens:<br />
Die dringend notwendige Verstärkung der<br />
Familienorientierung in allen Bereichen der<br />
Gesellschaftspolitik und auf allen Ebenen politischen<br />
Handelns erfordert weit mehr politische<br />
Phantasie, Gestaltungswillen und Gestaltungskräfte,<br />
als bisher für Familien aufgebracht<br />
wurde.<br />
Die Bildung von Humanvermögen gehört zu<br />
den unverzichtbaren Aufgaben jeden Gemeinwesens.<br />
Sie ist ohne die Bereitschaft seiner<br />
Mitglieder, Familien in ausreichender<br />
Zahl zu gründen und Kinder in einem Klima<br />
elterlicher Zuwendung aufzuziehen, nicht zu<br />
erfüllen.<br />
Diese Bereitschaft ist infolge des bestehenden<br />
Wirtschaftssystems, aber auch zahlreicher weiterer<br />
institutioneller Gegebenheiten und der<br />
aus ihnen resultierenden Benachteiligungen<br />
von Menschen, die Erziehungsverantwortung<br />
zu übernehmen bereit sind, heute starken Belastungen<br />
ausgesetzt. Auch diejenigen, welche<br />
ihre familialen Pflichten gegenüber der älteren<br />
Generation ernst nehmen und oft unter erheblichen<br />
Opfern der Allgemeinheit große Kosten für<br />
die Betreuung behinderter und pflegebedürftiger<br />
Menschen abnehmen, erhalten hierfür<br />
kaum öffentliche Anerkennung.<br />
Das Kernproblem moderner Gesellschaften mit<br />
Bezug auf die Familie besteht in dem Umstand,<br />
daß die meisten Gesellschaftsbereiche sich<br />
gegenüber der Tatsache gleichgültig verhalten,<br />
ob Menschen die familialen Aufgaben wahrnehmen<br />
oder nicht. Die Erfüllung familialer<br />
Aufgaben genießt weder politische noch sonstige<br />
gesellschaftliche Anerkennung. Damit<br />
werden sie in einem falschen Sinne zur „Privatsache"<br />
erklärt und trotz ihrer allgemeinen<br />
Bedeutsamkeit allein von moralischen Motiven<br />
und privat verfügbaren Ressourcen abhängig<br />
gemacht. Den Leistungen der Familien verdankt<br />
die Gesellschaft ihre Zukunft. Die familialen<br />
„Investitionen in den Menschen" entscheiden<br />
nicht nur über die Wirtschaftspotentiale von<br />
morgen, sondern zugleich über die Kultur des<br />
menschlichen Zusammenlebens. Alle Benachteiligungen,<br />
die das Leben in Familien belasten,<br />
zehren an der Freude und Bereitwilligkeit junger<br />
Menschen, ja zu sagen zu den zahllosen<br />
Anforderungen, die das Leben mit Kindern<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />
bedingt. Sie leiden unter den Gedankenlosigkeiten<br />
und Egoismen, die ihnen tagtäglich<br />
begegnen, wenn sie für sich lediglich Chancengleichheit<br />
mit Kinderlosen im Bereich ihrer<br />
Ausbildung, ihrer Erwerbschancen, ihrer Lebenshaltung<br />
reklamieren. Vieles von dem, was<br />
sie irritiert, verunsichert und ärgerlich macht,<br />
mag ungewollt sein. Aber alles spiegelt Mentalitäten<br />
der strukturellen Rücksichtslosigkeit<br />
gegenüber Familie, die sich in staatlichen, ökonomischen<br />
und gesellschaftlichen Einrichtungen<br />
aufgebaut haben. Besonders befremdlich<br />
-<br />
ist das Ausmaß an mangelnder Einsicht in die<br />
Bedeutung der familialen Situation für das Leistungspotential<br />
der Menschen am Arbeitsplatz.<br />
Hier müssen Wirtschaftsideologien hinterfragt<br />
werden. Allerdings gibt es auch ökonomische<br />
Kosten von Elternschaft, die nicht die Wi rt<br />
-schaft, sondern die Allgemeinheit zu finanzieren<br />
hat — etwa die des Arbeitsausfalls bei<br />
Schwangerschaft.<br />
Der strukturellen Rücksichtslosigkeit der staatlichen,<br />
ökonomischen und gesellschaftlichen<br />
Einrichtungen gegenüber der Familie entgegenzuwirken,<br />
um den nach wie vor verbreiteten<br />
Wunsch der überwältigenden Mehrheit nach<br />
Kindern und einem gelingenden Familienleben<br />
durch die Verbesserung der Lebensbedingungen<br />
für Familien zu unterstützen, kann selbstverständlich<br />
nicht allein Aufgabe des Staates<br />
sein. Die Tarifpartner, die Massenmedien, die<br />
Träger sozialer Dienste und alle, die mit Eltern,<br />
Kindern oder pflegenden Haushalten in Kontakt<br />
kommen, haben die Möglichkeit, hieran etwas<br />
zu ändern. Aber angesichts des gesellschaftsstrukturellen<br />
Charakters der Benachteiligung<br />
von Familien bleibt doch staatliche Politik in<br />
erster Linie gefordert. Familienpolitik ist somit<br />
mehr als Familienlastenausgleich; sie ist Teil<br />
einer gesellschaftlichen Strukturpolitik, welche<br />
alle politischen Ebenen mit einschließt. Dies<br />
bedeutet allerdings nicht die Forderung nach<br />
staatlichem Dirigismus in allen gesellschaftlichen<br />
Lebensbereichen; auch Familienpolitik<br />
bedarf einer ordnungspolitischen Grundlage<br />
und prozeßpolitischer Rationalität. Sie kann<br />
nicht allein Aufgabe des Staates sein. Vielmehr<br />
ist eine Bewußtseinsänderung in allen gesellschaftlichen<br />
Lebensbereichen notwendig, um<br />
die öffentliche Anerkennung der Familientätigkeit<br />
und ihre Vereinbarkeit mit der Teilhabe an<br />
den übrigen Sphären des gesellschaftlichen<br />
Lebens zu sichern.<br />
Maßnahmen zu Veränderungen des gesellschaftlichen<br />
Bewußtseins im Hinblick auf die<br />
Leistungen und Belastungen durch Familientätigkeit<br />
verlangen Aufklärung, Überzeugungsund<br />
Bildungsalternativen, welche glaubwürdig<br />
sichtbar machen, daß die Erfahrungen und<br />
Kompetenzen, welche in den verschiedenen<br />
familialen Tätigkeitsbereichen erworben werden,<br />
für alle gesellschaftlichen Lebensbereiche<br />
ihre unbestreitbare Relevanz haben.<br />
Zum Abbau<br />
der<br />
strukturellen<br />
Rück<br />
sichts<br />
losigkeit<br />
gegenüber<br />
Familien