Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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Heirats<br />
verhalten<br />
in der<br />
DDR<br />
Entschei<br />
ungs<br />
zwänge<br />
Geburtenrückgang<br />
Drucksache 12/7560<br />
Gründungsanlaß: Denn die partnerbezogene<br />
Emotionalität wird immer stärker zum Anlaß<br />
der Gründung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft,<br />
die emotionale kindorientierte<br />
Partnerbeziehung erst führt zur Eheschließung.<br />
Die Mehrzahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften<br />
stellt in der Bundesrepublik deswegen<br />
eine neue Form informellen Zusammenlebens<br />
während der Jugendphase oder des<br />
jungen Erwachsenenalters dar. Für andere<br />
Staaten (z. B. für die Niederlande, Skandinavien)<br />
trifft dieses Altersmerkmal nicht zu; dennoch<br />
gilt auch hier ihr „Durchgangscharakter"<br />
(entweder spätere Auflösung oder Eheschließung).<br />
Gleiches galt für die DDR (Gysi 1989,<br />
S. 266 u. 277; Sommer 1991, S. 30). Hier war es<br />
ferner weit verbreiteter, auch nach der Geburt<br />
eines Kindes zunächst nicht die Ehe zu schließen,<br />
sondern unverheiratet zusammenzuleben,<br />
vielfach um die Vergünstigungen, die die sozialpolitischen<br />
Maßnahmen alleinstehenden<br />
Müttern in der DDR boten, in Anspruch nehmen<br />
zu können (Gysi 1989, S. 267; Höhn u. a. 1990,<br />
S. 151). Die sehr viel höheren Nichtehelichenquoten<br />
seit Mitte der 70er Jahre in der DDR im<br />
Vergleich zur früheren Bundesrepublik sind vor<br />
allem auf diesen Sachverhalt zurückzuführen<br />
(1988 = 33 %; Bundesrepublik = 10 ). Statistische<br />
Angaben fehlen, die Auskunft darüber<br />
geben, ob die veränderte Rechtssituation in Ost<br />
Deutschland eventuell nun nicht mehr zur früher<br />
geplanten Eheschließung bei Paaren mit<br />
Kindern führt.<br />
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Dadurch,<br />
daß die Ehe an zwingender Notwendigkeit<br />
zur Erfüllung bestimmter elementarer<br />
Bedürfnisse an Bedeutung verloren hat und<br />
ferner durch die heutige zuverlässigere Planbarkeit<br />
von Kindern, muß die Entscheidung zur<br />
Ehe und zur Familiengründung rationaler erfolgen<br />
als noch vor 20 Jahren. Wahlmöglichkeiten<br />
bedeuten eben gleichzeitig Entscheidungszwänge.<br />
Vor allem hat sich auch die Entscheidung<br />
zum Kind oder zu weiteren Kindern für<br />
Frauen insofern erschwert, da diese ihr Leben<br />
weiterhin entscheidend verändern, aber die<br />
Familienphase im gesamten Lebenslauf wegen<br />
der gestiegenen Lebenserwartung und der<br />
Reduktion der Kinderzahl in der Familie stark<br />
geschrumpft ist.<br />
Uber den Rückgang der Geburtenzahlen in der<br />
Bundesrepublik Deutschland liegen eine Reihe<br />
von soziologischen Erhebungen und Erklärungen<br />
vor. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß<br />
es sich bei der Beschränkung der Kinderzahl in<br />
der Familie um ein multifaktorielles Bedingungsgeflecht<br />
handelt und daß demzufolge<br />
monokausale Argumentationen den vielfältigen<br />
Entscheidungsprozeß nicht ausreichend<br />
erklären können, der — wie jedenfalls qualitative<br />
empirische Untersuchungen (vgl. Urdze/<br />
Rerrich 1981; Notz 1991; Nave-Herz 1992)<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />
gezeigt haben — auch gar nicht immer so<br />
rational abläuft, wie mit Hinweis auf die heute<br />
möglichen Antikonzeptiva häufig behauptet<br />
wird.<br />
Ursachen<br />
dieser<br />
Entwicklungen<br />
An verursachenden Bedingungen für diese Entwicklung<br />
werden im einzelnen genannt, wobei<br />
diese Faktoren sich vielfach gegenseitig bedingen<br />
bzw. verstärken können und in einzelnen<br />
sozialen Schichten und im Regionalvergleich<br />
unterschiedliche Gewichtungen besitzen können:<br />
der Funktionswandel von Kindern, d. h. mit<br />
Kindern werden weniger, wie in der Vergangenheit,<br />
materielle Werte verbunden (wie Versorgung<br />
im Alter oder bei Krankheit, Mithilfe,<br />
Weitergabe von Besitz u. a. m.), sondern stärker<br />
immaterielle (die Emotionalität, das Zärtlichsein<br />
mit ihnen, Kinder aufwachsen zu sehen<br />
u. a. m.). Dazu aber reichen weniger Kinder aus.<br />
Weiterhin kommen folgende Gründe hinzu: die<br />
von vielen Eltern — vor der Geburt nicht antizipierte<br />
— psychische Belastung durch ihre Kinder,<br />
die veränderte Rolle der Frau, die gestiegene<br />
Berufsorientierung von Frauen bei gleichzeitig<br />
fehlenden Rahmenbedingungen, z. B.<br />
Mangel an Kinderbetreuungsinstitutionen, insbesondere<br />
mit entsprechenden Öffnungszeiten,<br />
der fehlende Wandel der Vater- bzw. Männer-<br />
Rolle. Vor allem sind auch die hohen finanziellen<br />
Kosten, die Kinder verursachen, von Bedeutung.<br />
Grundmann u. a. schreiben in ihrer Literaturexpertise:<br />
„Familie oder allgemein Elternschaft schaft als<br />
Eltern-<br />
droht zu einem Luxusgut oder einer Lebensform Luxusgut?<br />
zu werden, die, wie in der vormodernen Zeit,<br />
nur hinreichend für begüterte Schichten<br />
erreichbar und wünschenswert erscheint: heute<br />
-d<br />
erfolgt dies nur nicht mehr auf der Grundlage<br />
von Normen oder Gesetz, sondern auf der<br />
Grundlage struktureller Zwänge und individueller<br />
Entscheidung" (1992, S. 27). Kaufmann<br />
führt ebenso die gegenwärtige geringe Geburtenhäufigkeit<br />
auf die Wirksamkeit der ökonomischen<br />
Benachteiligung kinderreicher Familien<br />
zurück, aber in Verbindung mit dem Normenkomplex<br />
der „verantworteten Elternschaft".<br />
Der Normenkomplex „verantwortete Elternschaft"<br />
beinhaltet nämlich einerseits die Erziehungsverantwortung<br />
der leiblichen Eltern, verbunden<br />
mit hohen Ansprüchen an die Kindererziehung,<br />
jedoch „auch die Norm, Kinder nur<br />
dann zur Welt zu bringen, wenn man glaubt,<br />
dieser Verantwortung tatsächlich gerecht werden<br />
zu können" (1988, S. 395).<br />
Damit wird aber gleichzeitig diese Verantwortung<br />
zu sehr als eine „private" deklariert, und<br />
die Öffentlichkeit und der Staat können sich<br />
dieser Verantwortung — wie sie glauben folgenlos<br />
entziehen. Doch diese Abstinenz im<br />
Hinblick auf eine öffentliche Verantwortung für<br />
die Unterstützung von Eltern, vor allem von<br />
Müttern, wirkt sich ebenso auf die Reduktion<br />
der Kinderzahl in der Familie aus. Vor allem<br />
bedingt sie die bei uns steigende Kinderlosigkeit<br />
mit.<br />
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