27.02.2014 Aufrufe

Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Drucksache 12/7560<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />

Der Be<br />

griff „Hu<br />

anver<br />

mögen"<br />

untersuchten Teilbereiche der Gesellschaft vernachlässigt<br />

haben. Die für alle angewandten<br />

Sozialwissenschaften charakteristische „Familienblindheit"<br />

hat ihren tiefsten Grund in der<br />

Einseitigkeit ihrer Spezialisierung. Sie orientieren<br />

sich an segmentierten Gesellschaftsbereichen:<br />

Die Wirtschaftswissenschaften an der<br />

Wirtschaft, die Politikwissenschaften an der<br />

Politik, die Rechtswissenschaften am Recht, die<br />

Pädagogik am Bildungswesen. Diese Ausdifferenzierung<br />

von wertträchtigen Teilsystemen<br />

der Gesellschaft trug — wie selbstverständlich<br />

— dazu bei, daß nicht nur die Welt der<br />

Wirtschaft, sondern auch die der Politik, des<br />

Rechts, des Bildungswesens, neben anderen<br />

Teilwelten wie z. B. der des Sports und der<br />

Kunst, den Menschen attraktivere monetäre<br />

Kompensationen, Statussymbole und Auszeichnungen<br />

anboten als die der Familie. Nahezu<br />

alle außerhäuslichen und außerfamilialen Aktivitäten<br />

rangieren auf einer höheren Stufe<br />

der gesellschaftlichen Rangskala als die Familie.<br />

Zur zusammenfassenden Kennzeichnung der<br />

Leistungen, welche Familien für andere Gesellschaftsbereiche<br />

erbringen, bietet sich der<br />

Begriff des Humanvermögens an. Die Anforderungen,<br />

die die moderne Gesellschaft an das<br />

Wissen, an die Verläßlichkeit, an die Effizienz<br />

und Kreativität des Handelns ihrer Menschen<br />

stellt, sind in erster Linie Ansprüche an die<br />

Qualität der Bildung und Erhaltung des Humanvermögens<br />

in den Familien. Die Bildung von<br />

Humanvermögen umfaßt vor allem die Vermittlung<br />

von Befähigungen zur Bewältigung des<br />

Alltagslebens, das heißt: den Aufbau von Handlungsorientierungen<br />

und Werthaltungen in der<br />

Welt zwischenmenschlicher Beziehungen. Gefordert<br />

ist sowohl der Aufbau sozialer Daseinskompetenz<br />

(Vitalvermögen) als auch die Vermittlung<br />

von Befähigungen zur Lösung qualifizierter<br />

gesellschaftlicher Aufgaben in einer<br />

arbeitsteiligen Wirtschaftsgesellschaft, der Aufbau<br />

von Fachkompetenz (Arbeitsvermögen im<br />

weiten Sinne).<br />

Der Begriff des Humanvermögens bezeichnet<br />

zum einen die Gesamtheit der Kompetenzen<br />

aller Mitglieder einer Gesellschaft, von jungen<br />

und alten Menschen, von Kindern, Eltern und<br />

Großeltern, von Kranken, Behinderten und<br />

Gesunden. Zum anderen soll mit diesem Begriff<br />

in einer individualisierenden, personalen Wendung<br />

das Handlungspotential des einzelnen<br />

umschrieben werden, d. h. all das, was ihn<br />

befähigt, sich in unserer komplexen Welt zu<br />

bewegen und sie zu akzeptieren. In diesem<br />

Zusammenhang spielt auch die Fähigkeit zum<br />

Eingehen verläßlicher Bindungen und damit die<br />

Möglichkeit, Familie leben zu können, eine<br />

zentrale Rolle. Schließlich verknüpfen sich in<br />

der Familie die Lebenspotentiale aller Gesellschaftsmitglieder.<br />

Die Familie ist der bevorzugte<br />

Ort der Entstehung und Erhaltung von<br />

Humanvermögen.<br />

5. Die Generationen- und<br />

Geschlechtersolidarität in den Familien<br />

Für jede Form familialen Lebens ist die Generationen-<br />

und Geschlechtersolidarität eine konstitutive<br />

Voraussetzung und eine existentielle<br />

Aufgabe. Fehlt sie oder können, aus welchen<br />

Gründen auch immer, nur defiziente Modi dieser<br />

Solidaritäten gelebt und erlebt werden,<br />

entstehen für einzelne, aber nicht selten für alle<br />

Familienangehörigen, erhebliche Belastungen.<br />

Die Gewährleistung der familialen Leistungen<br />

und der Fortbestand des Familiensystems können<br />

in Frage stehen. Es ist folglich eine vorrangige<br />

Aufgabe für jede Gesellschaft, die Voraussetzungen<br />

dafür zu schaffen, daß sich diese<br />

Solidaritäten zwischen den Geschlechtern und<br />

Generationen zuverlässig herausbilden und im<br />

Vertrauen darauf Menschen ihre familialen<br />

Lebensformen entwickeln.<br />

Eine weitere Aufgabe zur Förderung der Solidarität<br />

in und unter den Familien verschiedener<br />

Generationen ist es, im System sozialer Sicherung<br />

stärker als bisher die für die Gesellschaft<br />

wichtigen Leistungen der Erziehung von Kindern<br />

und der Pflege und Versorgung der Älteren<br />

als Leistungen anzuerkennen, die Sozialleistungsansprüche,<br />

insbesondere auf Altersruhegeld,<br />

in angemessenem Umfang begründen.<br />

Denn trotz der seit den 80er Jahren eingeführten<br />

familienpolitischen Verbesserungen des Systems<br />

der Alterssicherung gilt, wie ja auch das<br />

Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom<br />

7. Juli 1992 („Mütterurteil") bestätigt: Wer Kinder<br />

aufzieht, in der Familie Kranke und Behinderte<br />

pflegt und in dieser Zeit auf Chancen in<br />

der Erwerbskarriere verzichtet, hat zwar einen<br />

erheblichen Beitrag zur Generationen- und<br />

Geschlechtersolidarität in den Familien geleistet.<br />

Dieser Beitrag führt aber bisher nicht zu<br />

einer leistungsgerechten gesellschaftlichen Anerkennung<br />

und materiellen Sicherung im Alter<br />

und bei eigener Pflegebedürftigkeit.<br />

Insbesondere Frauen aller Altersgruppen verzichten,<br />

nicht zuletzt auch im Vertrauen auf die<br />

Geschlechter- und Generationensolidarität, zugunsten<br />

von Familientätigkeit auf Erwerbskarrieren<br />

oder Chancen des sozialen Aufstiegs und<br />

damit auch auf eigenes Einkommen und eine<br />

eigenständige soziale Sicherung. Deshalb können<br />

Maßnahmen der Familienpolitik, die Eltern<br />

zur Unterbrechung der Erwerbstätigkeit anregen,<br />

ohne ausreichende Sicherungen für den<br />

Wiedereinstieg und die eigenständige soziale<br />

Sicherung anzubieten, in Verdacht geraten,<br />

frauenfeindlich zu sein.<br />

Die Geschlechtersolidarität ist besonders herausgefordert,<br />

wenn es um die Vermeidung von<br />

Schwangerschaftsunterbrechungen geht. Denn<br />

wer das ungeborene Leben schützen will, muß<br />

sich für gesetzlich gesicherte, zwischen beiden<br />

Geschlechtern gerechte Leistungs- und Belastungsverteilungen<br />

auch und vor allem für das<br />

geborene Leben verantwortlich zeigen.<br />

Familientätigkeit<br />

als Grundlage<br />

für<br />

Soziallei<br />

stungsan<br />

sprüche<br />

-m

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!