Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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Drucksache 12/7560<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />
X. Familie und Gesundheit<br />
-<br />
Höhere<br />
Lebenserwartung<br />
von Verheirateten<br />
Bereits die klassische Studie des französischen<br />
Soziologen Émile Durkheim über den Selbstmord<br />
(1897) ergab, daß Verheiratete ein<br />
wesentlich geringeres Selbstmordrisiko als Alleinstehende<br />
aufweisen. Seitdem ist durch eine<br />
Fülle ' von epidemiologischen, sozialmedizinischen,<br />
sozialpsychologischen und soziologischen<br />
Studien belegt, daß die familialen Verhältnisse<br />
einen wesentlichen Erklärungsfaktor<br />
für die verschiedensten Dimensionen seelischer<br />
und körperlicher Gesundheit darstellen.<br />
Wie Tabelle X/1 zeigt, ist die Wahrscheinlichkeit<br />
eines Todes in den besten Lebensjahren<br />
insbesondere für geschiedene, aber auch für<br />
ledige und verwitwete Männer und Frauen<br />
deutlich höher als für die verheirateten, wobei<br />
die Differenzen bei den Männern größer sind als<br />
bei den Frauen. Bemerkenswerterweise haben<br />
sich diese Sterblichkeitsunterschiede in den<br />
letzten Jahrzehnten vergrößert, d. h. der Sterblichkeitsrückgang<br />
zwischen 1961 und 1986 war<br />
für die hier betrachteten Lebensalter bei den<br />
verheirateten Männern um ein Vielfaches größer<br />
als bei den ledigen, verwitweten und geschiedenen;<br />
dasselbe gilt in abgeschwächtem<br />
Maße für die Frauen (Gärtner 1990, S. 59). Man<br />
hat diese Sterblichkeitsunterschiede lange Zeit<br />
vor allem auf Selektionseffekte (d. h. die Gesunden<br />
heiraten häufiger und haben stabilere<br />
Ehen) oder auf die spezifischen traumatischen<br />
Erfahrungen im Zusammenhang mit Verwitwung<br />
und Scheidung zurückgeführt, aber<br />
neuere Untersuchungen zeigen, daß sich diese<br />
Personengruppen auch stark hinsichtlich ihrer<br />
gesundheits- oder krankheitsförderlichen Lebensweise<br />
unterscheiden (Belloc 1982, Höhn/<br />
Pollard 1992). Die Lebensweise (z. B. Eß- und<br />
Schlafgewohnheiten, Alkohol- und Nikotin<br />
konsum, regelmäßige Bewegung) beeinflußt<br />
den Gesundheitszustand erheblich, und eine<br />
gesunde Lebensweise scheint im Regelfalle<br />
durch das Zusammenleben im Familienverband<br />
gefördert zu werden.<br />
Allerdings ist die Vorstellung zu einfach, daß<br />
allein das Leben in einer Familie schon ein<br />
geringeres Krankheitsrisiko darstelle. Ungünstige<br />
Familienverhältnisse können im Gegenteil<br />
auch den Gesundheitszustand nachhaltig beeinträchtigen.<br />
In erster Annäherung können wir<br />
die Wirkung der Familienverhältnisse entweder<br />
als dämpfend oder als verstärkend, jedoch<br />
kaum jemals als neutral für die vielfältigen<br />
gesundheitsgefährdenden Umwelteinflüsse bestimmen<br />
(Umberson/Gove 1989).<br />
In der deutschen familienwissenschaftlichen<br />
und familienpolitischen Diskussion hat der<br />
Zusammenhang von Familie und Gesundheit<br />
bisher wenig Beachtung gefunden; auch im<br />
Rahmen der <strong>Familienbericht</strong>erstattung wurde<br />
das Thema bisher nicht behandelt. Die nachfolgenden<br />
Ausführungen versuchen daher, einen<br />
ersten Überblick über verschiedene Dimensionen<br />
der Problematik zu geben. Dabei bleiben<br />
jedoch die im engeren Sinne klinisch-medizinischen<br />
Probleme ausgeklammert.<br />
1. Das Gewicht familialer Faktoren für<br />
die gesundheitliche Entwicklung<br />
1.1 Gesundheit und Humanvermögen<br />
Im Rahmen dieses <strong>Familienbericht</strong>s interessiert<br />
der Zusammenhang von Familie und Gesundheit<br />
vor allem unter dem Gesichtspunkt des<br />
Beitrags der Familie zur Entwicklung der Hu-<br />
Belastung<br />
durch ungünstige<br />
Familien<br />
verhält<br />
nisse<br />
Definition<br />
von Gesundheit<br />
Tabelle X/1<br />
Sterbewahrscheinlichkeiten nach Alter, Geschlecht und Familienstand 1986<br />
im Alter<br />
ledige<br />
Von 100 000 Männern sterben<br />
schiegedene<br />
verwitwete verheiratete<br />
ledige<br />
Von 100 000 Frauen sterben<br />
geschiedene<br />
verwitwete verheiratete<br />
35-39... 392 395 508 125 186 202 214 85<br />
40-44... 692 653 699 213 288 294 270 135<br />
45-49... 1 061 1 062 986 362 412 410 374 202<br />
50-54... 1 563 1 789 1 400 656 537 585 501 323<br />
55-59 ... 2 119 2 769 2 149 1 146 832 934 724 498<br />
60--64 ... 2 955 4 003 3 007 1 835 1 176 1 236 1 096 813<br />
Quelle: Höhn/Pollard 1992