Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />
Vernachlässigung<br />
der familialen<br />
Leistungen<br />
Das So<br />
zialpro<br />
dukt ist<br />
lückenhaft<br />
9. Der gesellschaftliche<br />
und wirtschaftliche Wert<br />
der familialen Leistungen<br />
9.1 Die Haushaltsökonomische<br />
Satellitenrechnung (HGR)<br />
zur Volkswirtschaftlichen<br />
Gesamtrechnung (VGR)<br />
Die täglichen zeitlichen Versorgungs-, Pflege-,<br />
Betreuungs- und Erziehungsleistungen in den<br />
Privathaushalten und Familien werden in den<br />
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nicht<br />
als bewertbare produktive Leistung der privaten<br />
Haushalte angesehen und deshalb nicht<br />
erfaßt. Lediglich jene Dienstleistungen, die auf<br />
Märkten angeboten werden, dort auf eine<br />
Nachfrage stoßen und deshalb Marktpreise<br />
erzielen, gehen in die Rechnung ein; sie erscheinen<br />
in der Rubrik „Privater Verbrauch".<br />
Dieses vielfach diskutierte und beklagte Faktum<br />
führt zu vielfältigen Kuriositäten, so z. B. zu<br />
der bekannten Tatsache,<br />
— daß die Leistungen einer Hausgehilfin das<br />
Sozialprodukt erhöhen, die gleichen Leistungen<br />
einer Vielzahl von Haus- und Ehefrauen<br />
aber nicht;<br />
— daß der Eigenheimbau eine Leistung des<br />
Baugewerbes ist, auch wenn hohe Anteile<br />
durch Eigenarbeit von den Privathaushalten<br />
selbst erstellt werden und<br />
— daß die Leistungen der Eltern als „Hauslehrer<br />
und Hauslehrerinnen" sowie die der<br />
häuslichen Kranken- und Behindertenpflege<br />
nicht als produktive Leistungen der Volkswirtschaften<br />
gelten, sondern als Privatangelegenheiten.<br />
— Als besonderes Ärgernis wird empfunden,<br />
daß solche Leistungen nicht selten als „unproduktiv"<br />
oder oft auch als für die gesellschaftliche<br />
Wohlfahrt, die als Maß des aggregierten<br />
individuellen Wohlbefindens angesehen<br />
wird, nicht relevant bezeichnet werden<br />
und damit als „ökonomisch" unbeachtlich.<br />
Die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen<br />
verführen folglich zu dem Trugschluß, daß die<br />
Wohlfahrt einer Gesellschaft mehr oder minder<br />
allein von dem Wachstumspfad des über die<br />
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung errechneten<br />
Volkseinkommens oder des Wachstumstrends<br />
des Pro-Kopf-Einkommens bestimmt<br />
wird. Das Volkseinkommen oder Sozialprodukt<br />
stellt jedoch nur jenen Endbetrag der Produktion<br />
eines Jahres fest, der definiert werden kann<br />
„als der Geldwert des gesamten Stroms von<br />
Endprodukten" einer Volkswirtschaft oder auch<br />
als „Gesamtheit der Faktoreinkommen (Löhne,<br />
Zinsen, Mieten, Pachten und Gewinne), die die<br />
Kosten für die Erstellung des für den Endverbrauch<br />
verfügbaren Produkts der Gesellschaft<br />
ausmachen" (Samuelson u. a. 1987, S. 183).<br />
Nicht enthalten in dieser Sozialproduktrechnung<br />
sind Wertansätze für alle jene Faktoreinsätze,<br />
für die es keine Geldpreise gibt. Zu diesen<br />
somit vermeintlich „kostenlosen Inputs" in die<br />
Volkswirtschaft gehören die „verbrauchte Umwelt"<br />
und das „gebrauchte und verbrauchte<br />
Humanvermögen" . Ersteres wirkt wohlfahrtsmindernd<br />
für mehr oder minder alle Gesellschaftsmitglieder,<br />
während letzteres — die<br />
Bereitstellung, Sicherung und Pflege des Humanvermögens<br />
einer Gesellschaft, also der<br />
Menschen in einer Volkswirtschaft — als eine<br />
Privatsache der Familien angesehen wird. Diese<br />
„Privatsache" bringt denen, die die Leistungen<br />
erbringen, erhebliche materielle Benachteiligungen.<br />
Das sind in der großen Mehrzahl die<br />
Frauen, welche durch ihre Familientätigkeit für<br />
alle anderen mehr oder minder „kostenlos" das<br />
Humanvermögen einer Gesellschaft heranbilden,<br />
täglich wieder fit machen und bei Krankheit<br />
oder Behinderung pflegen.<br />
Hier wird keineswegs darüber nachgedacht, ob<br />
dies etwa volkswirtschaftlich rational oder „effizient"<br />
ist. Für viele in unserer Gesellschaft und<br />
Volkswirtschaft scheint das Argument in hohem<br />
Maße attraktiv zu sein, daß man in vielen<br />
Bereichen der sozialen Dienste Kosten spare,<br />
wenn man diese Leistungen ohne reguläres<br />
Entgelt über die Privathaushalte erstellen lassen<br />
kann. Politisch sind Neigungen zu registrieren,<br />
solche von den Familien getragenen Lasten im<br />
Privatbereich zu belassen oder gar noch stärker<br />
als bisher in ihn zurückzuverlagern, ohne Rücksicht<br />
ob, Individuen und Familien diese Leistungen<br />
überhaupt erbringen können. Es fehlte<br />
bislang auch weithin an Bereitschaft, die bereits<br />
vorliegenden kritischen Fragen und die Aussagen<br />
grundlegender wissenschaftlicher Untersuchungen<br />
über den Wert von Familientätigkeit<br />
und der Grenzen der Belastbarkeit der Privathaushalte<br />
mit Familientätigkeit für die Volkswirtschaft<br />
und Gesellschaft ernsthaft zu erörtern.<br />
Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung soll<br />
deshalb durch zwei Satellitenrechnungen ergänzt<br />
werden. Die Haushaltsökonomische Satellitengesamtrechnung<br />
(HGR) hat die „werteschaffenden<br />
Leistungen" , die Haushaltsproduktion<br />
der Privathaushalte, zu erfassen. Sie soll<br />
als Input-Rechnung (Kosten) und Output-Rechnung<br />
(Leistungen) dargestellt werden. In der<br />
Umweltökonomischen Satelliten-Gesamtrechnung<br />
(UGR) geht es um die Bewertung des<br />
Umweltver- und -gebrauchs, soweit dieser in<br />
der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung —<br />
da ohne Marktpreis — keine Beachtung erfahren<br />
hat.<br />
Die wohlstandsmindernden Wirkungen der<br />
Umweltschädigungen bzw. die Verlagerung<br />
von scheinbar ökonomisch „ineffizienten" Familientätigkeiten<br />
in den kostenlosen Bereich<br />
der Privathaushalte führen zu einer „Glorifizierung"<br />
des Sozialprodukts und seiner Wachstumsmargen<br />
ohne Rücksicht auf die Alltagssorgen<br />
der Menschen.<br />
,,Kostenlose"<br />
Inputs<br />
-<br />
Tendenz<br />
zur Verlagerung<br />
von<br />
Dienstleistungen<br />
in<br />
Familien<br />
Satelliten<br />
rechnun<br />
gen