Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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leistungen<br />
der<br />
Familie<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />
Haushalte<br />
mit Män<br />
geln bei<br />
der Ge<br />
sundheits<br />
selbsthilfe<br />
verschiedentlich untersucht worden 8). Je nach gewiesen. Inwieweit diese Leistungen aber<br />
Definition der Pflege- und Hilfebedürftigkeit funktional äquivalent denjenigen des Familienhaushalts<br />
sind, bleibt eine offene Frage. Einer-<br />
zeigt sich, daß etwa 60-90 % aller Pflegebedürftigen<br />
grundsätzlich im Familienalltag verseits<br />
sind sie spezialisierter und daher in be-<br />
-<br />
Pflege sorgt werden, was punktuelle und situative<br />
professionelle Hilfe (insbesondere durch Ärzte<br />
oder Sozialstationen) nicht ausschließt. Zahlreiche<br />
Untersuchungen weisen darauf hin, daß<br />
diese Hilfeleistungen (außer unter Ehepartnern)<br />
nahezu ausschließlich Frauensache sind. Dementsprechend<br />
werden auch die familienunterstützenden<br />
externen Hilfen — seien sie ehrenamtlicher<br />
oder professioneller Art — ganz überwiegend<br />
von Frauen erbracht. Leider scheint es<br />
jedoch bisher nicht gelungen, geeignete Formen<br />
der Qualifikation für jene Berufe mit familienbezogenen<br />
Leistungen zu entwickeln, die<br />
nicht ausdrücklich krankenpflegerischen Charakter<br />
tragen. Auch scheint nur ein geringer<br />
Qualifikationstransfer von den familienbezogenen<br />
sozialen Diensten zu den Laienaktivitäten<br />
im Haushalt stattzufinden. Über die Qualität der<br />
Laienaktivität läßt sich nichts Generelles aussagen,<br />
wahrscheinlich variiert sie stark mit der<br />
jeweiligen allgemeinen Daseinskompetenz der<br />
Beteiligten.<br />
Angesichts des zunehmenden Trends zum Ein<br />
Personenhaushalt und einer vermuteten Lockerung<br />
der familialen Bindungen stellt sich die<br />
Frage, inwieweit die traditionell in Familienhaushalten<br />
erbrachten gesundheitsrelevanten<br />
Leistungen substituierbar sind und auf welche<br />
Weise. Grundsätzlich ist eine gesundheitsförderliche<br />
Lebensweise natürlich auch im Ein<br />
Personenhaushalt möglich, doch zeigen empirische<br />
Untersuchungen, daß Mängel der Gesundheitsselbsthilfe<br />
vor allem in Ein-Personenhaushalten,<br />
d. h. bei Alleinlebenden, aber z. T. auch<br />
bei kinderlosen Paaren und alleinerziehenden<br />
Familien auftreten. Mängel der Gesundheitselbsthilfe<br />
finden sich auch häufiger in Haushalten,<br />
wo der Haushaltvorstand keinen Beruf sabschluß<br />
hat oder aber einem technischen Beruf<br />
nachgeht (Forschungsverbund 1987, S. 48 ff.).<br />
Sozio-ökonomische Faktoren scheinen hier eine<br />
geringere Rolle zu spielen als die Haushaltkonstellation<br />
selbst: Wahrscheinlich ist es vor allem<br />
die fehlende soziale Unterstützung und soziale<br />
Kontrolle durch andere Haushaltmitglieder,<br />
welche das ungünstigere Gesundheitsverhalten<br />
der Alleinstehenden erklärt.<br />
Noch schwieriger gestaltet sich das Problem der<br />
Hilfe im Falle von Krankheit, Behinderung oder<br />
langfristiger Pflegebedürftigkeit im Falle fehlender<br />
familialer Netzwerke. Die Netzwerkforschung<br />
kann bisher substituierende Netzwerkbeziehungen<br />
zu Partnern, Freunden u. ä. in<br />
nennenswertem Umfange nicht nachweisen.<br />
Alleinstehende ohne familiales Netzwerk sind<br />
daher in besonders starkem Maße auf ehrenamtliche<br />
oder professionelle Hilfeleistungen an-<br />
8 ) Vgl. Abschnitt VIII.2, sowie Garms-Homolowa/Hütter<br />
1983, Grunow u. a. 1983, Vierter <strong>Familienbericht</strong>,<br />
S. 154f. '<br />
stimmter Hinsicht kompetenter, andererseits<br />
fehlt ihnen die selbstverständliche Vernetzung<br />
in den Familienalltag und damit auch die Verknüpfung<br />
zu Prozessen der emotionalen Unterstützung<br />
und diffusen Förderung gesundheitsrelevanter<br />
Lebensweisen.<br />
2. Familien mit suchtkranken Mitgliedern<br />
Eine für die gegenwärtigen Lebensverhältnisse<br />
charakteristische Zuspitzung der Gesundheitsproblematik<br />
zeigt sich in den verschiedenen<br />
Formen süchtigen Verhaltens, die in unserer<br />
Gesellschaft zum Teil weit verbreitet sind. Die<br />
Verfestigung süchtiger Verhaltensweisen ist<br />
häufig als eine Reaktion auf die Überforderung<br />
des Individuums durch widersprüchliche Anforderungen<br />
seiner Umwelt zu verstehen, als ein<br />
Kompensations- und Fluchtverhalten, das jedoch<br />
gerade der Entwicklung bestimmter<br />
Daseinskompetenzen und damit den Chancen<br />
eines gelingenden Lebens im Wege steht. Nicht<br />
alle Formen süchtigen Verhaltens gelten als<br />
sozial abweichend; auch ,normale' oder u. U.<br />
sogar sozial erwünschte Verhaltensweisen können<br />
im Falle exzessiver Intensität Entzugserscheinungen<br />
und Abhänigkeiten hervorrufen:<br />
„Jede Richtung menschlichen Interesses kann<br />
süchtig entarten" (v. Gebsattel 1948). Es mehren<br />
sich auch die Hinweise, daß Menschen, die<br />
von bestimmten Formen der Bedürfnisbefriedigung<br />
abhängig sind, je nach Umständen lediglich<br />
die Form ihrer Sucht wechseln, nicht jedoch<br />
die süchtige Disposition zu überwinden vermögen.<br />
Alle Formen der Sucht stellen für die Umwelt<br />
des süchtigen Menschen, insbesondere<br />
seine Familienangehörigen, in der Regel eine<br />
erhebliche Belastung dar. Nicht selten sind aber<br />
auch die Familienverhältnisse eine wesentliche<br />
Bedingung für die Entstehung und Verhinderung<br />
süchtiger Verhaltensweisen.<br />
2.1 Was heißt und bedeutet Sucht?<br />
Ursprünglich bedeutete ,Sucht' soviel wie<br />
,Krankheit' (z. B. Fallsucht, Schwindsucht, Wassersucht).<br />
Heute wird das Wort für gesundheitsschädigende<br />
Verhaltensweisen verwendet, die<br />
auf eine physiologische und/oder psychische<br />
Abhängigkeit zurückzuführen sind. Die Reichweite<br />
des Begriffs ist dabei umstritten: Im engsten<br />
Sinne wird unter Sucht lediglich die<br />
Abhängigheit von illegalen Drogen verstanden,<br />
aber es ist allgemein anerkannt, daß zahlreiche<br />
andere Stoffe, wie Alkohol, Nikotin, Koffein und<br />
Psychopharmaka im gleichen Sinne physisch<br />
und psychisch abhängig machen und häufig<br />
schwerwiegende Gesundheitsstörungen begünstigen<br />
können. Die Illegalität des Stoffes ist<br />
Ursachen<br />
und Formen<br />
von<br />
Sucht<br />
Definitionen<br />
von<br />
Sucht