27.02.2014 Aufrufe

Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />

bestimmt werden. Erziehung und Förderung in der<br />

Familie ebenso wie soziale Hilfestrukturen sollen<br />

dementsprechend<br />

— Handlungsmöglichkeiten öffnen, nicht verschließen,<br />

— behinderte Menschen einbeziehen, nicht aussondern,<br />

— sie selbstbestimmen lassen, nicht bevormunden.<br />

Der Bericht betont zu Recht die große Bedeutung einer<br />

möglichst frühzeitigen Diagnose von Entwicklungsstörungen<br />

oder -verzögerungen; denn je früher therapeutische<br />

Interventionen ansetzen, desto größer ist<br />

die Chance zu wirksamer Hilfe. Es ist deshalb sehr<br />

positiv zu bewerten, daß die Vorsorgeuntersuchungen<br />

für Säuglinge und Kleinkinder inzwischen von über<br />

90 % der Berechtigten in Anspruch genommen werden.<br />

Nicht immer finden jedoch Eltern eines behinderten<br />

Kindes eine ausreichend kompetente, umfassende<br />

und vor allem auch verständnisvolle Beratung,<br />

die ihnen in einer unerwarteten und schwierigen<br />

Lebenssituation die notwendige Unterstützung und<br />

Hilfe zur Akzeptanz der festgestellten Behinderung<br />

vermittelt. Ärzte sollten durch entsprechende Angebote<br />

in der Aus-, Fort- und Weiterbildung in die Lage<br />

versetzt werden, diese schwierige Beratungsaufgabe<br />

zu erfüllen.<br />

Dies gilt auch für den Bereich der pränatalen Diagnostik.<br />

Gerade dann, wenn bereits während der Schwangerschaft<br />

Schädigungen diagnostiziert werden, die<br />

die Geburt eines behinderten Kindes erwarten lassen,<br />

ist eine helfende und ermutigende ärztliche Beratung<br />

von entscheidender Bedeutung, damit die Diagnose<br />

nicht zwangsläufig zur Entscheidung für den Schw an<br />

-gerschaftsabbruch führt und so zu einem Selektionsmechanismus<br />

wird, der den ethischen Grundsätzen<br />

unserer Verfassung widersprechen würde.<br />

Gerade im Hinblick auf die Weiterentwicklung der<br />

medizinischen Forschung im Bereich der Humangenetik<br />

und auf die vielfach geäußerten Besorgnisse<br />

behinderter Menschen und ihrer Familien stellt die<br />

Bundesregierung unmißverständlich fest: das Lebensrecht<br />

behinderter Menschen steht nicht und unter<br />

keinen Umständen zur Disposition.<br />

Zur Prävalenz von Behinderungen in den alten und<br />

neuen Ländern zieht der Bericht die entsprechenden<br />

Sonderschulstatistiken heran. Für die DDR sei ergänzend<br />

noch auf folgendes hingewiesen: 1989 standen<br />

für geistig behinderte Kinder etwa 15.000 Plätze in 400<br />

rehabilitationspädagogischen Fördereinrichtungen<br />

für „sch ulbildungsunfähige" Kinder und Jugendliche<br />

zur Verfügung. Etwa die Hälfte der Plätze befand sich<br />

in Tagesstätten, die seit Ende 1990 zum großen Teil in<br />

Schulen für Geistigbehinderte umgestaltet werden.<br />

Die übrigen Plätze befanden sich in Heimen und in<br />

Abteilungen der neuropsychiatrischen Krankenhäuser.<br />

Schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche — vor<br />

allem mit Mehrfachbehinderungen —, die in hohem<br />

Maße pflegebedürftig sind, wurden hauptsächlich in<br />

Krankenhäusern, Pflegeheimen, in der Psychiatrie<br />

und in Behinderteneinrichtungen be treut und nur<br />

zum Teil gefördert. Das be traf 1989 etwa 3 600 Kinder<br />

und Jugendliche, davon etwa 3 000 in staatlichen<br />

Einrichtungen. In Anlehnung an das seit langem<br />

praktizierte Konzept der Förderpflege in kirchlichen<br />

Einrichtungen wurde seit Mitte der achtziger Jahre<br />

auch in staatlichen Einrichtungen eine rehabilitative<br />

Elementarförderung für schwerstbehinderte Kinder<br />

und Jugendliche (die bis Ende der siebziger Jahre<br />

auch als „schulbildungs- und förderungsunfähig"<br />

bezeichnet wurden) angestrebt. Die Bedingungen in<br />

den Krankenhäusern und Pflegeheimen waren im<br />

Gegensatz zu Behinderteneinrichtungen zum Teil<br />

sehr schlecht, so daß hier kaum Förderung erfolgen<br />

konnte. Auch rehabilitationspädagogische Fördereinrichtungen<br />

begannen sich langsam mit dem Ziel einer<br />

„rehabilitativen Elementarförderung" für schwerstbehinderte<br />

Kinder zu öffnen.<br />

Ein weitaus größerer Teil schwerstbehinderter Kinder<br />

wurde ausschließlich in der Familie betreut, da vor<br />

allem für die Tagesbetreuung keine ausreichenden<br />

Möglichkeiten zur Verfügung standen. 1989 be traf<br />

dies mindestens 30 000 Kinder und Jugendliche. Da in<br />

diesen Fällen ein Elternteil wegen der Be treuung auf<br />

Berufstätigkeit verzichten mußte, erhielten die Betroffenen<br />

eine monatliche Unterstützung von 200 DM.<br />

In den neuen wie in den alten Ländern sind die<br />

Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und<br />

Beruf für Mütter behinderter Kinder sehr eingeschränkt.<br />

Arbeitsmarktbezogene ebenso wie familienpolitische<br />

Bemühungen zur Förderung der Vereinbarkeit<br />

müssen in Zukunft diese Gruppe von Müttern<br />

stärker in die Planung von Unterstützungsmaßnahmen<br />

einbeziehen. Denn es ist nicht hinnehmbar, daß<br />

Pflege und Betreuung in der Familie nur um den Preis<br />

der Aufopferung eigener Lebensperspektiven möglich<br />

sein soll.<br />

In alten wie neuen Ländern gibt es ein großes und<br />

stetig wachsendes Interesse an integrativen Bildungsund<br />

Erziehungseinrichtungen, in denen behinderte<br />

und nichtbehinderte Kinder gemeinsam aufwachsen<br />

und gemeinsam lernen. Sonderbetreuung und Sonderförderung<br />

werden demgegenüber zunehmend<br />

problematisiert. Viele Eltern fürchten, daß dadurch<br />

die Ausgrenzung ihrer Kinder aus den alltäglichen<br />

Lebenszusammenhängen gefördert wird.<br />

Auf der Grundlage zahlreicher positiver Erfahrungen<br />

mit integrativen Ansätzen hat sich in den letzten<br />

Jahren die Zahl integrativer Gruppen in Regel- wie<br />

auch in Sonderkindergärten vervielfacht. Auch die<br />

lange Zeit umstrittenen Finanzierungsfragen konnten<br />

inzwischen weitgehend geklärt werden. Auch wenn<br />

die Finanzierung in den einzelnen Ländern unterschiedlich<br />

gehandhabt wird, haben sich doch pragmatische<br />

Lösungen einer Mischfinanzierung aus Mitteln<br />

der Jugendhilfe und der Sozialhilfe durchgesetzt.<br />

Noch offene Fragen werden von den zuständigen<br />

Landesministerkonferenzen gemeinsam erörtert und<br />

gelöst.<br />

Trotz der erheblichen Erweiterung des Angebotes an<br />

integrativen Gruppen reichen die vorhandenen Plätze<br />

nicht aus, um die große Nachfrage zu decken. Es wäre<br />

wünschenswert, deshalb die Bemühungen um einen<br />

bedarfsorientierten Ausbau fortzusetzen und zu ver-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!